December 30, 2010

Römisches Regime: Schmelztiegel der Ideologien



The Hiram Key pt 3

pt 1 Brüderliche Liebe durch mystische Genossenschaft
pt 2 Leere Ka[rdi]näle ohne Wasser, zynische Betrüger
pt 4 Jesus 325 nach Christus in Nicäa zum Gott gewählt
pt 5 Das Puzzle um Abraham und die Schäfer-Könige
pt 6 Mächtige Mysterien, die Geheimhaltung erfordern
pt 7 Symbiotische Inkulturation des Zynismus am Nil
pt 8 Lieber sterben als das heilige Vertrauen verraten
pt 9 Magier, die Steine zum Reden bringen konnten
pt 10 Macht der Loge als Basis für stabile Entwicklung
pt 11 Schwammige Gottheiten für jeden Geschmack
pt 12 Qumraner-Mönche Vorbild römischer Ordensritter
pt 13 Politikmagier die das kulturell Heilige verkörpern
pt 14 Verantwortlich für 2000 Jahre Antisemitismus
pt 15 Wie Paul das Christentums erfand
pt 16 Jahbulon in Ordo-Templi-Orientis-Ritualen
pt 17 Inquisitorischer, mörderischer Kreuzigungskult
pt 18 Freimaurer als Erben der echten Lehren Jesu
pt 19 Freimaurer-Netzwerk mit 100.000 Terrorzellen


S. 68-73) Jesus der Christus, und Jakobus der Gerechte als jüngerer Bruder

Die Essener waren eine geheimnisvolle Gruppe. Erst als 1947 in den Höhlen von Qumran in der Wüste, etwa 30 km östlich von Jerusalem, die Schriftrollen vom Toten Meer gefunden wurden, lüftete sich der Schleier. [...]
Die Regeln der Essener waren so streng, dass die Pharisäer neben ihnen wie eine Bande sorgloser Hedonisten wirken. Obwohl bekannt ist, dass die Essener und die Urkirche viel gemeinsam hatten, hat die römisch-katholische Kirche stets eine Verbindung zwischen beiden bestritten.
Eines der bekanntesten Bindeglieder war die Endzeiterwartung, die beide teilten.
Beide erwarteten, dass ihre Welt abrupt und vollständig untergehen würde.
Der Hauptunterschied der Essener gegenüber Sadduzäern und Pharisäern war der, dass man durch freie Entscheidung als Erwachsener Mitglied bei den Essenern wurde und nicht durch Geburt.
Die Essener von Qumran hielten sich für die einzig wahren Verwalter der rechten religiösen Lehren Israels und glaubten, dass sie durch ihren priesterlichen Gründer – in den Schriftrollen "der Lehrer der Gerechtigkeit" genannt – einen "neuen Bund" geschaffen hätten, die ultimative und endgültige Form einer perfekten Allianz zwischen dem Volk Israel und seinem Gott.

Jeder, der die Schriftrollen vom Toten Meer liest, kann erkennen, dass sie eine Gruppe mit einer einheitlichen Weitsicht beschreiben, die die gleiche Terminologie benutzte und den gleichen eschatologischen Glaubenslehren anhing wie die Jerusalemer Kirche. Experten, wie z.B. Professor Robert Eisenmann, haben bewiesen, dass der Führer der Qumraner Gemeinde in den Jahren um 40-60 n.Chr. Jakobus der Gerechte war, der Bruder Jesu, der nach Meinung der Kirche der erste Bischof von Jerusalem war.
Wie hat Jakobus seine Zeit zwischen den beiden Gruppen aufgeteilt? Von einem zum anderen Tag oder vielleicht morgens hier, nachmittags dort? Wohl kaum.
Die unausweichliche Antwort darauf lautet wohl, dass es sich um dieselbe Gemeinde handelte. In den letzten drei Jahrzehnten dieses Bestehens war die Gemeinde von Qumran die Kirche von Jerusalem.
Die Essener waren geistig gesehen ultrakonservative Juden, aber auf eine gewisse Art und Weise waren sie über alle Maßen progressiv und kreativ.
Das Vokabular der Qumraner ist in der christlichen Literatur präsent, und Missdeutungen ihrer ursprünglichen Bedeutung haben die unterstützt, die dem Strom des Judaismus nichtjüdische Götter hinzufügen wollten. [...]

Die Übersetzer benutzten Begriffe und Phrasen, die im Licht der zeitlichen Umstände verständlich waren, und deshalb bezogen sich qumranische Begriffe im christlichen Ritual, wie z.B. "dein Reich komme", "das Reich des Herrn", "das Reich Gottes" und "das Reich des Hauses David", alle auf den gleichen politischen Bereich.
George Wesley Buchanan bemerkt in seinem Buch "Jesus – The King and His Kingdom":

"Als Jesus angeblich gesagt haben soll, 'mein Reich ist nicht von dieser Welt' (Joh. 18:36), da meinte er nicht damit, dass es im Himmel wäre. Im Evangelium des Johannes werden alle Menschen in zwei Gruppen aufgeteilt. Erstens die von dieser Welt und zweitens die, die nicht von dieser Welt sind.
Zu den zweiten gehörten Jesus und die, die an ihn glaubten. Sie lebten auf der Erde. Sie waren nicht im Himmel, aber auch keine Heiden. Sie gehörten zur 'Kirche', die einen Gegensatz zur 'Welt' bildete. Zur 'Welt' gehörten alle Heiden und die, die nicht an ihn glaubten."

Wir können erkennen, dass die Begriffe, die zu jener Zeit verwendet wurden, einfache politische Statements waren. Wenn man sich der Unabhängigkeitsbewegung anschloss, so befand man sich im "Reich Gottes", und wenn nicht, dann lebte man in der gewöhnlichen "Welt". [...]

Die Begriffe "Himmelreich" und "Reich Gottes" hatten für die, die sie ursprünglich benutzten, eine ganz klare und einfache Bedeutung, aber als sie von nichtjüdischen Christen übernommen wurden, dachten die neuen Benutzer glücklich an ein Paradies, in das gute Menschen, nachdem ihr Leben vorbei ist, kommen und dort, möglicherweise wiedervereinigt mit ihren Lieben, endlos froh sind.
Die evangelische Sekte "Jehovas Zeugen" bringt Schriften heraus, in denen das Leben nach dem Tode als ein niemals endendes Picknick an einem idyllischen Platz beschrieben wird. Da das Wort "Paradies" ein altes persisches Wort ist, das "Park" oder "Tiergarten" bedeutet, ist diese Interpretation nicht weit von einer wörtlichen Übersetzung entfernt, aber es ist sehr weit weg von dem, was jener Jesus (der Siegbringer) im 1. Jh. lehrte.
Das aramäische Wort, das "Reich" bedeutete, wurde bei den Übersetzungen ins Griechische ebenfalls falsch verstanden, denn in diesem Kontext kann es auch "Regierung" oder "Herrschaft" heißen, und wenn man die vollständige Bedeutung des Wortes anschaut, so heißt es, "das Land Israel, regiert nach dem mosaischen Gesetz." Wenn Jesus und seine Zeitgenossen also vom "Kommen des himmlischen Reiches" sprachen, dann meinten sie damit einfach nur "den Zeitpunkt, an dem wir bald die Kittim (die fremden Besatzer) und ihre Marionetten aus Judäa hinausschmeißen und uns wieder der strengen Beachtung der jüdischen Gesetze widmen."

Die Verbindungen zwischen den Begriffen, die im Neuen Testament benutzt werden, und den Schriftrollen vom Toten Meer sind offensichtlich, aber die römisch-katholische Kirche hat von Anfang an versucht, sie herunterzuspielen. Die Entzifferung der Schriftrollen wurde unter Leitung einer römisch-katholischen Gruppe durchgeführt, zu der Vater de Vaux, Vater Milik, Vater Puech und Vater Benoit gehörten. Mitarbeiter, die nicht zu dieser Gruppe gehörten, beklagten, dass sie an viele der Schriftrollen einfach nicht herangelassen wurden. John Allegro und Edmond Wilson stellten übereinstimmend fest, dass sie das Gefühl hatten, man sei darauf aus, die Gemeinde von Qumran von der Urkirche abzugrenzen, obwohl immer mehr Beweise für Gemeinsamkeiten vorhanden wären.
So schreiben es M. Baignet und R. Leigh auch in ihrem Buch "The Dead Sea Scrolls Deception".
[...] Am 16. September 1956 schrieb John Allegro in einem Brief an Vater de Vaux folgendes:

"Sie sind unfähig, das Christentum objektiv zu betrachten. [...] Sie erzählen munter, was die ersten Judenchristen in Jerusalem dachten, und niemand würde vermuten, dass Ihre einzige Quelle – wenn man sie überhaupt so nennen kann – das Neue Testament ist."

Vater de Vaux und sein Team konnten garnicht anders, als diese neuen Schriftrollen im Lichte ihres Glaubens zu sehen, und sie verdrehten die Fakten – ob nun bewusst oder unbewusst, sei dahingestellt – um zu beweisen, dass die Gemeinde von Qumran und die Nasoräer keinerlei Verbindung miteinander hatten.
Dieser Täuschung verfallen wir heute nicht mehr.
Für uns war es unabdingbar, dass der Mann, der Jesus, der Christus war, während der 30er und 40er Jahre des ersten Jh.s. eine führende Gestalt in Qumran gewesen sein musste. Die Gemeinde war klein – manche behaupten, es wären nie mehr als 200 Personen gewesen – und wahrscheinlich gab es nie mehr als insgesamt 4000 Essener. Sie stellten einen Bund von Gleichgesinnten dar, die ihr Heil darin sahen, heilig und wie Mönche zu leben, obwohl sie keine geweihten Priester waren. Das beinhaltete einen Lebensstil, der extrem hierarchisch war – vom Wächter oder Großmeister bis hinunter zu solch niedrigen Wesen wie verheirateten Männern oder, noch schlimmer, Frauen, besonders menstruierenden Frauen.
Frauen, die diese Zeit ihres Körperzyklus erreicht hatten, mussten sich unsichtbar machen. Fortpflanzung war unglücklicherweise eine Notwendigkeit des Lebens, und diejenigen, die sich der Fleischeslust hingaben, mussten sich einer gründlichen Reinigung unterziehen, ehe sie wieder in die Gemeinschaft zurückkehrten.


Blutsschwüre im Freimaurerorden nur Spaß


Es gab verschiedene Grade der Zugehörigkeit, die von einem breiteren Kreis Außenstehender bis zu denen, die zum inneren Heiligtum Zutritt hatten, reichte. Um zu den höheren Weihen zugelassen zu werden, musste man schwören, alles geheim zu halten. Diese Schwüre waren mit schrecklichen Strafen gekoppelt, sollte man die Geheimnisse der Bruderschaft verraten.
Das klingt sehr nach den Freimaurern, aber es gibt einen Unterschied:
Die Qumraner äußerten diese Drohungen nicht nur so zum Spaß, sie meinten es ernst.



S. 76) Eklektizistische Ekklesia

Wir wussten inzwischen, dass es einen großen Unterschied gab zwischen der Urgemeinde von Jerusalem und der späteren Organisation, die sich einfach ihr Kleid anzog, nachdem die Urgemeinde im Krieg mit den Römern ausgelöscht worden war. Wir schauten uns die Schriften der Leute an, die die römisch-katholische Kirche die "frühen Kirchenväter" nennt, und auch die späterer Kirchenführer, und wir waren entsetzt über die Verwirrung, die Missverständnisse und die abstrusen Gedanken, die es im Lauf der Jahrhunderte so gab.
Doch wir entdeckten auch manche verblüffend ehrliche Bemerkung. So soll Papst Leo X. (der Papst, der Heinrich VIII. von England zum "Verteidiger des Glaubens" ernannte) gesagt haben:

"Dieser Christusmythos hat uns wohl gedient."

Seit dem Fall Jerusalems im Jahre 70 n.Chr. hatte der Glaube, den man Christentum nannte, sehr schnell begonnen, sich von seinen jüdischen Wurzeln zu lösen, und bald war jede klare Sicht auf den Helden namens Jehoshua durch fremde Mythen und Legenden verstellt. Alte heidnische Geschichten wurden zuhauf in die Geschichte des Mannes gepackt, der nur versuchte, der König zu werden, der sein Volk rettet. In Rom wurde die Legende von Romulus und Remus mit zwei neuen, geringeren Göttern neu erzählt – es waren die großen Heiligen Petrus und Paulus.
Der Sonnengott Sol hatte seinen Geburtstag am 25. Dezember, und man hielt es für passend, Jesus und ihn am gleichen Tag zu feiern. Der Sabbat war jetzt der Tag des Sonnengottes – Sonntag – und das Symbol der Sonne wurde hinter die Köpfe der Göttlichen und Heiligen gestellt – in Form des Heiligenscheins.

Die Bürger des Imperiums fanden Vertrautes und Beruhigendes in der neuen Religion – wenn es ihnen in diesem Leben nicht so gutging, würde es ihnen im nächsten besser ergehen. Sie dachten nicht allzu viel über die logische Struktur dieses Glaubens nach. Wie für viele Menschen seit Anbeginn der Welt war Logik für sie nutzlos, sie zogen es vor, sich am Gefühlvollen zu erfreuen.



S. 77) Der Mechanismus für ungeteilte katholische Macht als geniales Geschenk an Rom

Das Römische Imperium war ungeheuer erfolgreich gewesen, doch trotz seines rücksichtslosen Vordringens konnte seine Macht nicht ewig währen. Es fing gerade an, als kulturelle Macht zu zerbröckeln, als man herausfand, dass es viel effektiver war, den Verstand der Menschen zu beherrschen, und nicht nur ihre Körper. Das Christentum schenkte Rom den Mechanismus, ungeteilte politische Macht auf ungebildete Menschen auszuüben, indem man ihnen ein besseres Leben nach dem Tod dafür bot, dass sie den Befehlen des Papstes folgten. Thomas Hobbes, der Philosoph und politische Denker des 17. Jh.s, erfasste die Situation ganz klar, als er in seinem Leviathan schrieb:

"Das Papsttum ist nichts anderes als der Geist des toten Römischen Imperiums, das dort gekrönt auf seinem Grab sitzt."

Das wahrscheinlich wichtigste Ereignis bei der Entstehung dessen, was wir heute "die Kirche" nennen, fand am 20. Mai 325 in der Türkei statt, und zwar auf dem Konzil von Nicäa, als Kaiser Konstantin beschloss, die Herrschaft seines Teilimperiums ein für allemal an sich zu reißen. Zu diesem Zeitpunkt war Konstantin extrem unbeliebt, und es herrschte Unzufriedenheit. Die Idee, die er hatte, um seine Probleme zu lösen, war ein wahrer Geniestreich.
Er war realistisch genug zu erkennen, dass Rom nicht mehr die gleiche Macht besaß wie früher.
Und wenn er seine Position schon nicht mehr durch Zwang oder Geldgeschenke sichern konnte, dann konnte er sein Volk doch regieren, wenn er an den Religionen teilhatte, mit denen er die Loyalität seiner Untertanen teilte.
Das ganze Imperium war zu einem Potpourri von Kulten geworden, von denen sich einige, wie z.B. das Christentum, in vielen unterschiedlichen Formen präsentierten. Im Verlauf von ein paar Generationen hatte fast jede östliche Religion ihren Weg nach Rom gefunden und war aufgesogen und verändert worden, um den lokalen Ansprüchen zu genügen. Die Romanisierung war so schwerwiegend, dass nur wenige der Religionsstifter ihren eigenen Kult wiedererkannt hätten, denn die Kulte waren so miteinander verschmolzen, dass sie austauschbar geworden waren – ein theologischer Mischmasch also. Die, die sich Christen nannten, waren durch fundamentale Glaubensunterschiede untereinander völlig zerstritten.
Obwohl Konstantin das Christentum legalisierte, war er ein Anhänger des Sonnengott-Kultes.
Erst auf seinem Sterbebett ließ er sich taufen – denn vielleicht hatten die Christen ja doch recht.
Dies kann man nur eine billige und überlegte Versicherung für das Leben nach dem Tod nennen.



S. 78 ff.) Christus quasi praesens numero uno mit "'9/11'-Tricks"

Er muss gespürt haben, dass diese Religion langsam zur Vorherrschaft drängte.
Konstantin verdiente sich also wirklich den Titel, den die Geschichte ihm zusprach: "Konstantin der Große". Er heckte seinen Plan aus und führte ihn fehlerfrei durch. Zu der Zeit gab es zwei Kaiser – Konstantin herrschte in Westrom und Licinius in Ostrom, und als Konstantin seinem Mitkaiser darlegte, dass die Monotheisten nicht mehr verfolgt werden sollten, stimmte ihm Licinius bereitwillig zu. Da diese Verfolgungen sowieso schon längst aufgehört hatten, muss sich Licinius sehr darüber gewundert haben, dass Konstantin sich plötzlich so interessiert an dem Wohlergehen eines akzeptierten Kultes wie dem Christentum zeigte. Er fand es bald darauf heraus, denn Konstantin beschuldigte ihn, die Vereinbarung nicht eingehalten zu haben, und ließ ihn umbringen, um "die religiöse Freiheit seiner Untertanen" zu schützen. Konstantin war nun Alleinherrscher und besaß die volle Rückendeckung der immer einflussreicher werdenden Christen. Das war ganz sicher ein hervorragender Weg, um die Ordnung aufrechtzuerhalten und die Spaltung aufzuheben, und Konstantin muss gemerkt haben, dass man diese Entwicklung weiter befördern sollte.
Seiner Strategie stellten sich zwei Hindernisse in den Weg – zum einen die Tatsache, dass es immer noch zu viele verschiedene Religionen gab, die allgemein praktiziert wurden, und zum anderen, dass die Christen untereinander so zerstritten waren, dass die Gefahr einer Aufsplitterung in verschiedene Glaubensformen bestand.
Seine Lösung für dieses Problem war einfach genial.

Obwohl er immer noch ein gläubiger Anhänger des Sol-Invictus-Kultes war, berief Konstantin das erste internationale Konzil der Christen ein, um ein für allemal eine offizielle Sicht des Christentums und ihres jüdischen Propheten Jesus Christus zu etablieren. Dazu lud er Kirchenführer aus allen Ecken des Reiches ein – aus Spanien, Frankreich, Ägypten, Persien, Syrien, Armenien und aus dem Heiligen Land. Weil die Christen bei weitem die größte Sekte des Imperiums waren, wurde dieses Konzil in Nicäa in der heutigen Türkei abgehalten und bekam den Charakter eines Parlaments des wiedervereinigten Imperiums.
Das Ereignis war hervorragend in Szene gesetzt,
denn Konstantin saß in der Mitte, und die Bischöfe waren an seiner Seite platziert, so dass seine Autorität bei allen Diskussionen galt.
Der Kaiser sah sich in der Position des "gegenwärtigen" Christus mit seinen Jüngern, und der Heilige Geist goss ebenfalls seine Macht über sie aus – wie die Legende später wissen wollte – und handelte in dem Mann, der als Gründer der Kirche gilt. Konstantin war in erster Linie am Gott der Christen interessiert, den er als Manifestation seines Sonnengottes betrachtete. Jesus Christus hingegen war für ihn der jüdische Messias – so wie er der Messias des Imperiums war. Jesus war für ihn eine kriegerische und geheiligte Gestalt wie er selbst, der darum kämpfte, Gottes Rolle zu festigen – nur dass der jüdische König versagt hatte, während es ihm gelungen war. Seit der Zeit Konstantins haben die Christen ihn immer als Lichtgestalt ihres Glaubens betrachtet, die die Häretiker besiegte. [...]

Das Endergebnis des Konzils war das "Nicäische Glaubensbekenntnis", das die unterschiedlichen Fraktionen zu versöhnen suchte und doktrinäre Klippen vermied, die beinahe die östliche Kirche völlig zersplittert hätten.
Die Regeln, die dabei beschlossen wurden, bilden immer noch die Grundlage für die meisten kirchlichen Regeln von heute, denn sie widmen sich vielen Einzelheiten wie z.B. der Frage, wann die Gemeinde während des Gottesdienstes auszustehen und wann sie sitzen zu bleiben hat. Das Hauptthema war jedoch das Problem, ob Jesus, der Christus, nun Mensch oder Gott war – und wenn er Gott war, welchen Grad hatte seine Göttlichkeit.
Diese Leute hatten sich also eine große Aufgabe gestellt, und sie muss ihren theologischen Verstand sehr beansprucht haben. Es im Gefühl zu haben war einfach, aber die Logik war schwierig und schmerzhaft: Wenn es nur einen Gott gab, wie konnte Jesus Gott sein, ohne dieser Gott zu sein? Und wenn Maria ihn empfangen hatte – folgte daraus nicht, dass es eine Zeit gegeben haben musste, als Gott noch nicht geboren war? Also musste es einen älteren Gott geben, der sich nicht völlig von ihm unterschied.
So dachte es sich jedenfalls Konstantin in seinem nichtjüdischen Hirn aus, denn er erklärte es mit "Gott, dem Vater" und "Gott, dem Sohn". Das scheint uns eine ziemlich dürftige Schlussfolgerung zu sein, denn niemand kann ernsthaft glauben, dass einer und sein Vater nur unterschiedliche Manifestationen ein und derselben Gestalt sind, denn dann hätte es ja nur einen Menschen gegeben, schließlich stammen wir alle von einer unendlich langen Kette von Vater-Kind-Linien ab.

Leere Ka[rdi]näle ohne Wasser, zynische Betrüger



The Hiram Key pt 2

pt 1 Brüderliche Liebe durch mystische Genossenschaft
pt 3 Römisches Regime: Schmelztiegel der Ideologien
pt 4 Jesus 325 nach Christus in Nicäa zum Gott gewählt
pt 5 Das Puzzle um Abraham und die Schäfer-Könige
pt 6 Mächtige Mysterien, die Geheimhaltung erfordern
pt 7 Symbiotische Inkulturation des Zynismus am Nil
pt 8 Lieber sterben als das heilige Vertrauen verraten
pt 9 Magier, die Steine zum Reden bringen konnten
pt 10 Macht der Loge als Basis für stabile Entwicklung
pt 11 Schwammige Gottheiten für jeden Geschmack
pt 12 Qumraner-Mönche Vorbild römischer Ordensritter
pt 13 Politikmagier die das kulturell Heilige verkörpern
pt 14 Verantwortlich für 2000 Jahre Antisemitismus
pt 15 Wie Paul das Christentums erfand
pt 16 Jahbulon in Ordo-Templi-Orientis-Ritualen
pt 17 Inquisitorischer, mörderischer Kreuzigungskult
pt 18 Freimaurer als Erben der echten Lehren Jesu
pt 19 Freimaurer-Netzwerk mit 100.000 Terrorzellen



S. 52 f.) Buchstäbliche Auferstehung gewährt unfehlbare Autorität

Die Auferstehung Jesu und seine Auffahrt gen Himmel wörtlich zu nehmen, zeitigte große Konsequenzen, denn auf den Berichten der 12 Apostel von der Auferstehung und Auffahrt Jesu beruht schließlich die gesamte Autorität der römisch-katholischen Kirche. Diese in sich abgeschlossene und unwiderlegbare Erfahrung hatte großen Einfluss auf die politische Struktur der frühen Kirche.
Die Führung der Kirche wurde so auf einen kleinen Kreis beschränkt, der unumstößliche Autorität besaß und sich das Recht nahm, seine Nachfolge selbst zu bestimmen. Dies führte zu einer Auffassung religiöser Autorität, die bis heute überlebt hat: dass nämlich nur die Apostel definitiv religiöse Autorität besaßen und dass ihre einzigen legitimen Erben Priester und Bischöfe sind, die sich bei ihrer Ordination auf diese Nachfolge berufen. Selbst heute noch führt der Papst seine Autorität auf Petrus zurück, den ersten unter den Aposteln, der Zeuge der Auferstehung wurde. Diese Sichtweise ist sehr bequem, wenn das Interesse einer Organisation darin besteht, alle religiöse Macht in Händen zu halten. Es lag somit im Interesse der Führer der Urkirche, die Auferstehung buchstäblich wörtlich zu nehmen, weil sie damit selbst zur unfehlbaren Quelle der Autorität wurden. Weil niemand aus den folgenden Generationen den gleichen Zugang zu Christus hatte wie die Apostel, musste jeder Gläubige zur Kirche nach Rom schauen, die ja von den Aposteln gegründet worden war, und ihre Bischöfe als Autorität ansehen.
Die gnostische Kirche nannte diese unkritische Ansicht der Auferstehung "den Glauben von Narren" und behauptete, diejenigen, die verkündeten, dass ihr toter Meister leiblich auferstanden sei, würden eine spirituelle Weisheit für ein wirklich geschehenes Ereignis halten.



S. 54 f.) Religiöse Inhalte als direkte und pure Politik. Frömmigkeitspolitik.
Und:
Keine zweite Auferstehung eines Christen (nach Christus) möglich –
aus politischen bzw. spirituell-politischen Gründen

In der " Apokalypse des Petrus" wird die gnostische Sicht deutlich, als der auferstandene Christus die religiöse Autorität hinterfragt und Petrus erklärt:

"Die, die sich Bischof und Diakon nennen und sich benehmen, als stamme ihre Autorität von Gott, sind in Wirklichkeit wie wasserlose Kanäle (Nag Hammadi). Obwohl sie keine Ahnung von Mysterien haben, prahlen sie damit, dass das Mysterium der Wahrheit ihnen allein gehöre.
Sie haben die Lehren der Apostel falsch verstanden und anstelle einer wahren christlichen Bruderschaft eine falsche Kirche errichtet."

Dieser Standpunkt wurde von den Gelehrten, die die gnostischen Evangelien übersetzt hatten, aufgenommen und erweitert. Uns beiden raubte die politische Bedeutung des Gedankens an eine Auferstehung während des Lebens förmlich den Atem, als wir eines Nachmittags in der Unibibliothek in Sheffield diesen Kommentar von Elaine Pagels in ihrem Buch "Versuchung durch Erkenntnis" fanden:

"Auch wenn man die politischen Implikationen der Lehre von der Auferstehung erkennt, erklärt dies noch nicht ihre außerordentliche Wirkung auf die religiöse Erfahrung der Christen. [...] Aber für die Sozialordnung hatte die orthodoxe Lehre [...] ganz andere Wirkung: Sie legitimierte eine Hierarchie von Menschen, deren Vollmacht nun für alle anderen den Zugang zu Gott vermittelte. Die gnostische Lehre war, wie Irenäus und Tertullian erkannt hatten, für diese Ordnung potentiell zerstörerisch: Sie versprach jedem Eingeweihten einen direkten Zugang zu Gott, den die Priester und Bischöfe selbst vielleicht gar nicht kannten."

Wir wissen heute, dass die Interpretation der Auferstehung eine ungeheure Streitquelle in der Urkirche war und dass es eine geheime Überlieferung bezüglich einer seelischen Auferstehung während des Lebens gab, die man einer Gruppe von Christen zuschrieb, die Gnostiker hießen.
Sie wurden aus politischen Gründen als Häretiker denunziert, weil ihr Wunsch, Wissen zu erlangen, die Autorität der Bischöfe der orthodoxen Kirche unterminierte.



S. 56) Machtfaktor Auferstehung: Apostel als "Augenzeugen"

Wir hatten vermutet, dass die Templer eine Schriftrolle gefunden hatten, die ihre Sicht der Welt umgeworfen hatte. In dem Bemühen, herauszufinden, was sie entdeckt hatten, schauten wir uns eine Reihe von frühchristlichen Schriften an, die man im Allgemeinen die gnostischen Evangelien nennt. Wir schlossen, dass das Konzept "Gnosis" (Wissen) das Gegenteil des kirchlichen "Glaubens" ist und dass es sich hierbei um eine Denkart handelt, die gut mit der Freimaurerei zusammenpasst. Wir waren zu dem Schluss gekommen, dass die selektive Doktrin der frühen Kirche ihre Ursache nicht nur in religiöser Meinung, sondern auch in politischer Nützlichkeit hatte.
In den Nag-Hammadi-Schriften, die zwischen 350 und 400 v.Chr. versteckt und in Ägypten wiederentdeckt worden waren, fanden wir eine sehr unterschiedliche Interpretation vom Wirklichkeitsgrad der Auferstehung Jesus'. Hier lebt eine gnostisch-christliche Tradition der lebendigen Auferstehung, die uns sehr an die freimaurerische Zeremonie des dritten Grades erinnerte.
Der Glaube an die wirkliche Auferstehung des Körpers Jesus', der dann in den Himmel aufsteigt, ist ein wichtiger Machtfaktor für die katholische Kirche in Rom. Deren Autorität gründet sich auf die Aussagen der 12 Apostel, die die Auferstehung bezeugten – ein Erlebnis, von dem alle nachfolgenden Christen ausgeschlossen waren.
Dieses einzigartige Zeugnis war die Quelle der Macht des Bischofs von Rom in der Struktur der frühen Kirche und gab ihm die unangefochtene Herrschaft über alle, die glaubten.



S. 58 f.) Wie der römische Mithras zum katholischen Jesus wurde
Und:
Die Zeitmaschine von Santa Satan

5. Jesus Christus: Mensch, Gott, Mythos oder Freimaurer? [...]
Ein grundlegendes Problem für die Kirche liegt in der unausweichlichen Tatsache, dass der gesamte zentrale Mythos, um den es hier geht, in die Zeit vor Jesus zurückreicht.
Das Gerüst dieses Mythos ist so alt wie die Menschheit selbst – von der jungfräulichen Geburt in der finsteren Höhle bis zum Opfertod, der die Gläubigen rettet – das ist immer wieder für religiöse Leitbilder so aufgeschrieben worden.
Das sind nicht nur bloße Ähnlichkeiten – die Geschichten sind absolut austauschbar.

Die Geschichte des Mithras – ein Kult, der zu Zeiten des römischen Imperiums ebenfalls sehr populär war – war so ähnlich, dass die Kirchenväter behaupteten, es müsse sich um ein Werk des Teufels handeln, das Christus lächerlich machen sollte. Die unglückliche Tatsache, dass es den Mithras-Kult schon lange vor der Geburt des christlichen Messias gab, fochten diese gebildeten Menschen nicht an, sie behaupteten einfach, dass der Teufel ein gerissener alter Fuchs sei und die Zeit zurückgedreht habe, um einen Menschen zur Welt kommen zu lassen, der die "offensichtliche" Einmaligkeit der Geschichte Jesus' in Misskredit bringen würde.
Hier nur eine Auswahl der alten Götter oder Religionsstifter, die zeitlich alle vor Christi Geburt lebten oder wirksam waren: (siehe Zeitgeist der Film pt 1)



S. 59) Fallstricke aus Frömmigkeit

Der Mithras-Kult ist ein syrischer Ableger des weit älteren persischen Kultes um Zoroaster, der etwa um 67 v.Chr. Einzug ins Römische Reich hielt. Seine Glaubenssätze enthielten die Taufe, ein Abendmahl mit sakramentalem Charakter, den Glauben an die Unsterblichkeit, einen Gottessohn, der starb und wieder auferstand, um so als Mittler zwischen Menschen und Gott zu dienen, die Auferstehung, das Jüngste Gericht sowie Himmel und Hölle. Interessanterweise fanden in den Zeremonien dieses Kultes Kerzen, Weihrauch und Glocken Verwendung. Seine Gläubigen erkannten die Göttlichkeit des Kaisers an und durften neben anderen Kulten ihren Glauben ausüben, obwohl sie die wahren Anhänger Jesu waren, wie wir später herausfanden.
Der Jerusalemer Kirche fehlten diese heidnischen Fallstricke, die später von den Römern hinzugefügt wurden, um eine hybride Theologie zu schaffen, die den Bedürfnissen der größtmöglichen Zahl von Bürgern entsprach.
Die Römer gingen von folgender Überlegung aus: Wenn die Plebejer ihren Aberglauben nun einmal brauchten, warum ihn dann nicht staatlich kontrollieren?



S. 60) Aljoscha Christos – der zum Prinzen gesalbte ersehnte Erretter

Der Name Jesus ist einfach eine griechische Übersetzung des hebräischen Namens Jehoshua [...]
Die jüdische Tradition besagt, dass Israels Könige durchaus auch als Messiasse galten. Für die Juden war es die Bezeichnung für einen künftigen König oder einen König im Wartestand, und wir können daher sicher annehmen, dass der jüdische Begriff des Messias keine übernatürlichen Implikationen kannte (wie es auch Sigmund Mowinckel in seinem Buch "Han som kommer" betonte).
Es verblüfft dann doch, dass "Messias" nur zweimal in der autorisierten Version des Alten Testaments und gar nicht im Neuen Testament vorkommt.
Doch zu Jesu Lebzeiten wurde dieser Begriff sehr populär unter den Juden, denn sie hofften auf eine Zukunft, in der sie sich wieder selbst regieren würden, anstatt unter der Kontrolle von Unterdrückern (sie nannten sie "Kittim") wie den Syrern, den Babyloniern oder – eben besonders zu dieser Zeit – den Römern zu stehen. [...]
Die Tatsache, dass das Wort "Messias" im Neuen Testament nicht gebraucht wird, kann nur dadurch erklärt werden, dass die Übersetzer der frühen Texte immer dann, wenn der hebräische Begriff "Messias" (in der Bedeutung "Retter") auftauchte, das griechische Wort "Christos" einsetzten.
Mit der Zeit ist die Bezeichnung "Christos" zum Synonym für Jesus Christus geworden, obwohl wir wissen, dass sie anfänglich häufiger angewandt wurde.



S. 61 f.) Führer/Retter-Personenkult mit okkulten Untertönen

Für die späteren christlichen Kritiker des jüdischen Glaubens war die hebräische Bedeutung des Wortes "Messias" viel zu passiv und auch zu fremd. Daraus folgt dann, dass die griechische Übersetzung Untertöne eines geheimen hellenischen Kultes birgt und die übernatürliche Kraft, Seelen zu retten und die ganze Welt zu erlösen, ausdrückt. Norman Cohn trifft in seinem Buch "Cosmos, Chaos and the World to Come" die Situation genau, wenn er den jüdischen Messias so beschreibt:

"Er wird höchstens ein großer militärischer Führer und ein weiser und gerechter Herrscher sein, der von Jahwe angeleitet und von ihm ernannt wird, über sein Volk in Juda zu herrschen.
Die Bedeutung eines überirdischen Retters in Menschengestalt, die so wichtig im Zarathustrismus und so zentral im Christentum ist, ist in der hebräischen Bibel völlig unbekannt."

Dass die Christen die Begründung für ihren Glauben aus dem Alten Testament beziehen, muss moderne jüdische Gelehrte ziemlich aufbringen, denn ihnen ist klar, dass ihr Erbe dazu benutzt wurde, einem römischen Mysterienkult, der zum Großteil persischen Ursprungs war, Glaubwürdigkeit zu verleihen.
Diese Ausplünderung der 22 jüdischen Texte erfreute sich zu Beginn des 2. Jh.s großer Beliebtheit, als die Christen nach Begründungen suchten, die die Glaubenssätze ihres Kultes unterstützten.
Die Mitglieder der Urkirche betrachteten sich als Juden, und bis zum Ende des 1. Jh.s sah man allgemein die Christen als jüdische Sekte an. Doch zu Beginn des 2. Jh.s waren die meisten Christen nichtjüdische Konvertierte aus dem Römischen Reich, die sich überhaupt nicht mehr als Juden betrachteten. Diese kulturellen Freibeuter achteten gar nicht oder nur wenig auf den Kontext oder offizielle Interpretationen und zitierten unbekümmert aus jüdischen Texten, die von ihren Eigentümern nicht als Schriftgut angesehen wurden.
Das Alte Testament wurde bereits im 3. Jh. v.Chr. ins Griechische übersetzt. Diese Übersetzung heißt Septuaginta (das Kürzel LXX). Die Christen fügten neue Passagen und ganze Bücher ein und besaßen dann noch die Unverschämtheit, die Juden zu beschuldigen, sie hätten diese Stellen aus ihrem Kanon gestrichen! Diese ungeheure Behauptung wurde im christlichen Denken verinnerlicht und führte zu Akten des Vandalismus wie 1242 in Paris, als 24 Wagenladungen jüdischer Schriftrollen aus den Synagogen geraubt und dann verbrannt wurden, und 1262, als König Jaime I. von Aragon befahl, alle jüdischen Bücher zu vernichten.



S. 63 f.) Wissentlicher Inkulturationsbetrug mit uraltem orientalischen Halbgott

Es gibt hier einen wichtigen Punkt, den man nicht ignorieren kann: Nirgendwo im Alten Testament wird das Kommen eines Retters der Welt prophezeit. Die Juden erwarteten einen Führer, der in der Nachfolge von David ein irdischer König sein würde – und so gern es einige Christen auch gesehen hätten, war Jesus nicht der Messias aus dem Geschlecht Davids, denn es gelang ihm nicht, der unbestrittene König von Israel zu werden. Für die Juden der damaligen Zeit – Jesus eingeschlossen – gab es keine andere Bedeutung des Wortes. Das ist keine Frage des Glaubens, sondern eine unbestreitbare Tatsache der Geschichte, die keine theologische Debatte zulässt.
Die Kirche weiß heute um dieses Missverständnis der Frühzeit und mag ja behaupten, dass ihre "spirituelle" Interpretation wahr und richtig ist – entgegen der Tatsache, dass die Juden dieses Wort in ganz anderem Sinn benutzten – doch trotzdem: Nachdem die Kirche einmal zugibt, dass die christliche und die jüdische Bedeutung des Wortes "Messias" nichts gemein haben, folgt daraus, dass die Kirche kein Recht hat, das Alte Testament als Beweisquelle für das Kommen ihres Christus zu benutzen.
Das zu tun ist schlicht Betrug.
Die Juden erwarteten keinen Gott oder den Retter der Welt, sie warteten einfach auf einen politischen Führer, der aus dem Geschlecht ihres ersten Königs stammte – David. [...] Ein weiteres Problem für die gesamte Christenheit ist der Glaube, dass Jesus einer magischen Vereinigung von Jahwe und Maria entstamme.
Wie wir bereits gesehen haben, ist diese Vereinigung von Gott und Frau eine uralte Notwendigkeit in den Kulturen des Mittleren Ostens, wenn es um die Zeugung von Halbgöttern geht. Die Rechtfertigung für diese Behauptung der Christen ist der Titel, den Jesus sich selbst gab – "Sohn Gottes", damals der Titel für jeden, der Anspruch auf den Königsthron erhob. Alle Könige – noch vor den Pharaonen – haben ihre Recht zu herrschen von ihrer göttlichen Abstammung abgeleitet.



66) Der Messias (Fuehrer/Pharaoh) als Schrödingers Katze

Unser erstes Szenario war, dass zwei konkurrierende Messiasse unterschiedliche Gruppen in Judäa repräsentierten, denn es ist gut dokumentiert, dass es während der ersten beiden Jahrhunderte viele vermeintliche Anwärter auf den Titel eines Messias gab. Was wäre nun geschehen, wenn beide zur gleichen Zeit auf dem Höhepunkt ihrer Popularität gestanden hätten? Beide wären von ihren Anhängern Jesus genannt worden, denn es ist der Name, den man dem Retter des jüdischen Volkes gibt, dem, der den Juden Sieg und künftigen Wohlstand beschert.
Zum Zeitpunkt der Verhaftung könnte vielleicht eine dieser messianischen Gestalten unter dem Namen "Jesus, König der Juden" und die andere als "Jesus, Sohn Gottes" bekannt gewesen sein.
Als diese Kriminellen dann öffentlich vorgeführt wurden, ist Pontius Pilatus vielleicht aufgegangen, dass die Situation ziemlich explosiv wurde, und da er ein Blutbad fürchtete, in dem er eines der Opfer hätte sein können, bot er an, einen dieser gefangenen Messiasse freizulassen. Die Menge hatte zwischen ihrem königlichen Messias und dem priesterlichen Messias zu wählen – und sie wählte den letzteren.
Wir nennen dieses Szenario "Schrödingers-Katzen-Theorie des Messias", nach dem berühmten logischen Experiment, das zeigt, wie zwei verschiedene Ergebnisse in der seltsamen Welt der Quantenmechanik nebeneinander existieren können, denn man kann unmöglich sagen, ob der "echte" Jesus des christlichen Glaubens nun gekreuzigt oder freigelassen wurde. Die Geschichten der beiden Männer sind heute so vollständig miteinander verknüpft, dass die christlichen Sekten, die behaupten, Jesus sei nie gekreuzigt worden, völlig recht haben, und auch die Kirche, die sagt, dass er gekreuzigt wurde, nicht im Unrecht ist.



S. 67 f.) Priesteraristokratie, Neuanfang nach Masada, Chassidismus, Therapeuten

Die drei Hauptgruppen der Bevölkerung von Judäa im 1. Jh. waren Sadduzäer, Pharisäer und Essener. [...]
Die Sadduzäer bildeten durch ererbtes Recht die priesterliche und aristokratische Verwaltung von Jerusalem. Was ihre religiösen Ansichten anging, waren sie sehr konservativ, glaubten nicht an ein Leben nach dem Tod und betrachteten zweifelsfrei die komplexen Ansichten und Taten der Pharisäer als das Werk abergläubischer Narren. Sie führten das Land eher im römischen Sinn als im jüdischen, waren also das, was wir heute Kollaborateure nennen würden. Sie vertraten die Ansicht, dass jeder die Freiheit habe, sein Schicksal zu bestimmen, und im Gegensatz zu den Pharisäern glaubten sie, dass Geschichte nicht Teil eines göttlichen Planes sei, sondern ihren eigenen Weg nehme. Es ist gut dokumentiert, dass sie – obgleich sie reich waren und hoch oben auf der gesellschaftlichen Rangleiter standen – ungebildet, grob und extrem hart zu jedem waren, der das Gesetz brach oder sich in ihre Verwaltung einmischte. Sie waren keine Männer mit Idealen und Ideen, aber sie regierten das Land und nutzten alles zu ihrem Vorteil. Fairerweise muss gesagt werden, dass sie sich wahrscheinlich nicht von der herrschenden Klasse in den meisten Ländern bis heute unterschieden, aber sie als "religiöse Freidenker" zu bezeichnen, das ist nun soweit von der Wahrheit entfernt wie nur irgend möglich.

Andererseits waren die Pharisäer strenggenommen eigentlich keine Priester. Aber sie befolgten gläubig die Gebote und versuchten, sie in jedem Bereich ihres Lebens anzuwenden. Um die Gesetze völlig zu befolgen, hatten sie sich zur Unterstützung Interpretationen geschaffen, durch die jede Handlung genau bestimmt wurde. Sie schufen hohe Vorgaben, die heute die Grundlagen für das orthodoxe Judentum bilden, und ob jemand ihrem Glauben anhing oder nicht, war ihnen ziemlich egal. Traditionell war es so, dass die Anbetung Jahwes auf den Tempel von Jerusalem beschränkt war und unter Kontrolle des Hohenpriesters stattfinden musste, aber es waren letztendlich die Pharisäer, die die Grundlage für das System mit Rabbi und Synagoge schufen, sodass die Juden auf der ganzen Welt Zugang zu ihrem Gott haben können.
Heutzutage leben die Ängste und Hoffnungen der Pharisäer im orthodoxen Judentum fort.
Auf der ganzen Welt wird kein orthodoxer Jude am Sabbat Geschäfte machen oder Auto fahren, nähen oder flicken, Fernsehen schauen, kochen oder einen Schwamm ausdrücken, und sie werden auch keine Türklingel betätigen oder einen Aufzug benutzen.

Brüderliche Liebe durch mystische Genossenschaft



Christopher Knight & Robert Lomas 1996: The Hiram Key pt 1

Dt. Titel: Unter den Tempeln Jerusalems (Kopp Verlag 2007)

pt 2 Leere Ka[rdi]näle ohne Wasser, zynische Betrüger
pt 3 Römisches Regime: Schmelztiegel der Ideologien
pt 4 Jesus 325 nach Christus in Nicäa zum Gott gewählt
pt 5 Das Puzzle um Abraham und die Schäfer-Könige
pt 6 Mächtige Mysterien, die Geheimhaltung erfordern
pt 7 Symbiotische Inkulturation des Zynismus am Nil
pt 8 Lieber sterben als das heilige Vertrauen verraten
pt 9 Magier, die Steine zum Reden bringen konnten
pt 10 Macht der Loge als Basis für stabile Entwicklung
pt 11 Schwammige Gottheiten für jeden Geschmack
pt 12 Qumraner-Mönche Vorbild römischer Ordensritter
pt 13 Politikmagier die das kulturell Heilige verkörpern
pt 14 Verantwortlich für 2000 Jahre Antisemitismus
pt 15 Wie Paul das Christentums erfand
pt 16 Jahbulon in Ordo-Templi-Orientis-Ritualen
pt 17 Inquisitorischer, mörderischer Kreuzigungskult
pt 18 Freimaurer als Erben der echten Lehren Jesu
pt 19 Freimaurer-Netzwerk mit 100.000 Terrorzellen

Für John Marco Allegro – einen Mann, der seiner Zeit zwanzig Jahre voraus war.

"A breakthrough book. The last four thousand years are never going to look the same again." Graham Hancock


S. 11) Die Freimaurer – der größte Machtapparat weltweit

Wir begannen unsere Forschungen aus privatem Interesse heraus, um die Ursprünge des Freimaurertums zu erforschen, der größten Gesellschaft der Welt, die heute fast eine Million männlicher Mitglieder umfasst. [...]
Im Zentrum der Zeremonie der Freimaurer steht eine Person, die Hiram Abif genannt wird und die gemäß einer Geschichte, die jedem Freimaurer erzählt wird, vor ungefähr 3000 Jahren während der Bauzeit von Salomos Tempel ermordet wurde. Zwar werden seine Rolle als Erbauer des Tempels und die schrecklichen Umstände seines Todes in der freimaurerischen Geschichte genauestens beschrieben, doch findet man seinen Namen nicht im Alten Testament. Während vier von den sechs Jahren, die unsere Forschungen andauerten, glaubten wir, dass es sich bei Hiram Abif um eine Erfindung mit Symbolwert handelte. Und dann entstieg er plötzlich den Nebelschwaden der Vergangenheit, um sich als wirklicher Mensch zu materialisieren.
Und als Hiram Abif erst einmal aus dem Dunkel der Geschichte getreten war, hielt er auch einen neuen Schlüssel zur Geschichte des Abendlandes bereit.

S. 14) In der Mitte der viktorianischen Ära war es für einen berufstätigen Mann gesellschaftlich gesehen wichtig, Freimaurer zu sein.
Die Neureichen der industriellen Revolution wollten durch die Mitgliedschaft in einer exklusiven Gesellschaft, die beim Adel bis hinauf zur königlichen Familie höchstes Ansehen genoss, ihre gesellschaftliche Position festigen.


S. 16) Geheime Seilschaften aus lauter Wohltätern

Die Freimaurerei ist sicherlich vieles, aber bestimmt nicht böse, obwohl manche Leute entschlossen sind, sie mit diesem Prädikat zu versehen.
Die Vereinigte Großloge von England (VGE) hat öffentlich festgestellt, dass "die Bürgerpflicht eines Freimaurers immer Vorrang vor den Verpflichtungen gegenüber anderen Freimaurern hat."
[...] Wir wollen hier keine Rechtfertigungen für die Freimaurerei auflisten, aber es ist nun einmal Tatsache, dass sie eine Menge Gutes tut und – soweit wir wissen – nie etwas Schlechtes.
Die Freimaurer haben immer schon große Summen für wohltätige Zwecke gespendet, und das für gewöhnlich anonym. Außerdem fördern sie eine aufrechte Moral und ein soziales Verantwortungsgefühl, die beeindruckend sind, und haben Standards gesetzt, denen andere gefolgt sind. Hautfarbe, Rasse, Glaube oder politische Meinung waren immer unwichtig, und die beiden wichtigsten Ziele der Freimaurerei basieren auf der Freiheit des Einzelnen und dem Wunsch nach Wissen und Erkenntnis.
Unser größter Kritikpunkt an der Freimaurerei ist ihre völlige Inhaltslosigkeit.


S. 17) Masons in Black – der schwarze (unsichtbare) Freimaurerorden

Als wir Freimaurer wurden, haben wir beide die gleiche Zeremonie durchlaufen, die jeder Neuling seit mindestens 250 Jahren absolvieren muss. Während dieser Zeremonie mussten wir bei unserer Ehre schwören, niemals die Geheimnisse der Freimaurerei zu verraten, und uns ist sehr bewusst, dass mancher Freimaurer das, was wir hier machen, als Eidbruch ansehen wird. Doch die VGE betrachtet nur die Erkennungszeichen als schützenswerte Geheimnisse des Ordens, und niemand könnte sich, nachdem er dieses Buch gelesen hat, fälschlicherweise als Freimaurer ausgeben. Es ist wichtig für uns, die Rituale detailliert zu erklären, denn sie bilden die Grundlage für die Forschungsarbeiten, die wir durchgeführt haben. Manche der Begriffe, die verwendet werden, sind geheime Erkennungszeichen, aber wir weisen nicht darauf hin, welche Worte unter welchen Umständen verwendet werden müssen, und damit haben wir unser Bestes getan, im Geist unserer Gelübde zu handeln. Außerdem verstehen wir den Eid so, dass wir nur einwilligten, diese Geheimnisse zu bewahren, wenn sie weder unsere Freiheit noch unsere Moral oder bürgerliche oder religiöse Pflichten beeinträchtigten. Und hätten unsere Gelübde uns daran gehindert, die wichtigen Entdeckungen zu veröffentlichen, die wir jetzt gemacht haben, so hätte das diese Freiheiten sicherlich beeinträchtigt.


S. 22 f.) Vom Wort und vom Tod aus:
Heiliger Hiram/Jesus – Verehrungswürdiger Meister/Messias

"Und der Herr sprach: Mit Kraft werde ich mein Wort in meinem Haus Wurzeln schlagen lassen, damit es für alle Zeiten fest steht."

Dieses Zitat erwies sich als äußerst wichtig, obwohl es für moderne Freimaurer keinen Sinn macht – und auch uns erschien es, als wir es das erste Mal hörten, völlig sinnlos.
Als ich den Tempel wieder betrat, war es völlig dunkel. Das einzige Licht war eine Kerze, die im Osten vor dem Verehrungswürdigen Meister brannte. In dem großen fensterlosen Raum war das sehr wenig Licht, aber nachdem meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte ich dahinter Gesichter und die Umrisse des Tempels erkennen – allerdings nur in Schwarz und Grau.
In dramatischem Ton wurde mir dann mitgeteilt, dass das Thema dieser Prüfung der Tod selbst sei. [...]

"Im ersten Rang lernen wir, welche Pflichten wir gegenüber Gott, unseren Nächsten und uns selbst gegenüber haben. Im zweiten Grad wird es uns gestattet, an den Mysterien der Wissenschaft teilzuhaben und der Güte und Majestät des Schöpfers nachzuspüren, indem wir alles genau analysieren. Aber der dritte Rang hält alles zusammen. Er soll Männer durch eine mystische Kameradschaft aneinander binden, zu der auch brüderliche Zuneigung und Liebe gehören. Er weist auf die Finsternis des Todes hin und darauf, dass die Dunkelheit des Grabes nur der Vorläufer eines hellen Lichtes sein wird, das auf die Auferstehung der Gerechten folgen wird.
Dann werden die sterblichen Körper, die so lange im Staub geschlummert haben, auferweckt, mit ihrer Seele wiedervereinigt und unsterblich gemacht."


S. 25 f.) Skull and Bones

"Ich muss dich jetzt bitten zu beachten, dass das Licht des Meistermaurers nur als Dunkelheit sichtbar ist, was nur dazu dient, das Verhängnis auszudrücken, das über den Zukunftsaussichten hängt. Eben diesen Schleier der Dunkelheit kann das Auge des Verstandes nur durchdringen, wenn das göttliche Licht aus dem Himmel ihm hilft.
Doch selbst im Schein dieses schimmernden Strahls wirst du erkennen, dass du stets am Rande des Grabes stehst, in das du gerade sinnbildlich hinabgestiegen bist und das dich, wenn dieses vergängliche Leben beendet ist, wieder an seine kalte Brust drücken wird."

Während der Verehrungswürdige Meister diese grausigen Worte sprach, wies er mich an, nach unten zu blicken, und zu meiner Rechten konnte ich im Dunkel den Umriss eines offenen Grabes erkennen.
Darin lag ein Totenschädel, über dem zwei Oberschenkelknochen über Kreuz lagen.
Zum ersten Mal in einer Freimaurerzeremonie bekam ich eine Gänsehaut.

"Lass dich durch diese Symbole der Sterblichkeit, die jetzt vor dir liegen, dazu anregen, darüber nachzudenken, was dein unausweichliches Schicksal ist, und deine Überlegungen sollten zu der interessantesten und nützlichsten aller menschlichen Wissenschaften führen – der Selbsterkenntnis.
Doch hüte dich davor, diese deine Aufgabe anzugehen, während es noch Tag ist ..."


S. 36) Der Salomo-Mythos vom Gottespalast

Von unserem heutigen Standpunkt aus und aufgrund unserer Vertrautheit mit Kirchen, Synagogen und Moscheen könnten wir ganz leicht den Schluss ziehen, dass Salomos Tempel ein Ort war, den man besuchte, um seinen Gott anzubeten. Doch dies wäre ein fataler Irrtum, denn dieser Tempel wurde nicht für Menschen gebaut, sondern buchstäblich als Haus Gottes – gewissermaßen ein Heim für Jahwe selbst. Es gibt keine greifbaren Überreste von Salomos Tempel und keinerlei neutrale Aufzeichnungen darüber, und deshalb kann sich niemand sicher sein, ob es ihn nun wirklich gab oder ob er nur eine Erfindung der späteren Verfasser der jüdischen Schriftrollen war, die mündlich überlieferte Ereignisse lange nach ihrem tatsächlichen Stattfinden aufschrieben.


S. 39 f.) Rotes Kreuz der Mönchskrieger und aufgeschlitzte Bäuche

Das Bild des tapferen Kreuzritters mit Vollbart, im weißen Mantel mit einem roten Kreuz darauf, kennt jeder seit seiner Kindheit. Wir erfuhren aus Bilderbüchern und Filmen, wie die Schlechten getötet und die Guten von diesen heldenhaften Rittern beschützt wurden, aber die Wirklichkeit sah ganz anders aus. Das rote Kreuz auf dem weißen Umhang war nicht das Abzeichen eines jeden Kreuzritters, sondern das der berühmten Mönchskrieger – der Tempelritter. Ihr mysteriöser Aufstieg aus dem Nichts, ihr großer Reichtum und Einfluss und ihr tiefer Sturz am Freitag, den 13. Oktober 1307, hat Diskussionen und Spekulationen bis heute angeregt.
Fast 200 Jahre lang waren die Templer mächtiger als die meisten Könige.
Sie besaßen legendäre Fähigkeiten als Kämpfer, und ihr Reichtum war immens.
Konnte es wirklich eine Verbindung zwischen diesem seit langem verschwundenen mittelalterlichen Orden und den Männern aus der Mittelklasse, die hinter verschlossenen Türen in fast jeder größeren Stadt der westlichen Welt maurerische Rituale murmeln, geben? [...]
Die sogenannten "Kreuzzüge", die Kämpfe um die Herrschaft im Heiligen Land, waren gnadenlose Kriege.
Die grausamen und selbstgerechten christlichen Eindringlinge aus dem Norden glaubten, die Moslems würden in Zeiten der Gefahr ihr Gold und ihre Juwelen verschlucken, um sie zu verbergen, und so starben viele Moslems unter großen Schmerzen mit aufgeschlitzten Bäuchen, während die Finger der Ungläubigen in ihren Gedärmen nach Wertgegenständen suchten, die es nicht gab.
Den Juden der Stadt erging es nicht viel besser. Sie hatten seit Jahrhunderten friedlich Seite an Seite mit den Moslems gelebt, aber am 14. Juni 1099 starben auch sie, denn die Blutgier der Kreuzfahrer kannte keine Grenzen.


S. 41 f.) Templer-Theorien

Wir merkten bald, dass wir bei weitem nicht die einzigen waren, die Bedenken am Wahrheitsgehalt der allgemein akzeptierten Behauptung, die Templer seien Wächter gewesen, hatten.
Denn je mehr wir suchten, desto mehr Theorien über die Motive der Templer entdeckten wir.
Gaetan Delaforge kommentiert in seinem Buch "The Templar Tradition in the Age of Aquarius":

"Die wahre Aufgabe der neun Ritter war die, in diesem Gebiet Nachforschungen anzustellen, um bestimmte Reliquien und Manuskripte zu finden, die die Essenz der geheimen Überlieferungen des Judentums und des alten Ägypten enthielten und von denen einige wahrscheinlich bis zurück in die Tage Mose reichten."

Dieser Kommentar wurde von Graham Hancock dazu benutzt, die weitverbreitete Alternativmeinung, dass diese Ritter nicht das waren, was sie zu sein schienen, zu illustrieren. Er zog den Schluss, dass für sie nur der Standort von Interesse gewesen sein kann und dass es heute Beweise für ihre Ausgrabungstätigkeit gibt.


S. 44 f.) Ritter und Mönche dank Bernhard, dem Übervater cisterciensis

Es scheint so, als ob Hugo de Payens Reise von der Furcht um den Fortbestand der Gruppe bestimmt gewesen sei. Ein Brief, den Hugo de Payen in Europa schrieb, zeigt seine Sorge bezüglich der Standhaftigkeit seiner Mitritter in Jerusalem. Darin steht, dass die Berufung der Ritter durch den Teufel geschwächt worden sei, und er zitiert danach Bibelstellen, um die übrigen sieben Ritter zu stärken. Es waren nur noch sieben Ritter am Tempelberg geblieben, weil Hugo de Payen auf seiner Reise von André de Montbard begleitet wurde, dem Onkel des sehr jungen, aber äußerst einflussreichen Abtes von Clairvaux (der später der heilige Bernhard werden sollte).
Es muss diese familiäre Verbindung gewesen sein, die sie als erstes zu Bernhard führte, den die Geschichte seines Onkels sehr beeindruckte. Die Worte, mit denen er ihr Hilfsersuchen unterstützte, lassen wenig Zweifel daran aufkommen, welche Meinung er von diesen Rittern in Jerusalem hatte:

"Sie gehen nicht einfach in die Schlacht, sondern tun es vorsichtig und überlegt, friedlich, wie wahre Kinder Israels. Aber gleich nachdem der Kampf begonnen hat, stürzen sie sich unverzüglich auf den Feind [...] und kennen keine Furcht [...] einer allein hat oft tausend, zweitausend oder sogar zehntausend in die Flucht geschlagen [...] sie sind sanfter als Lämmer und grimmiger als Löwen. Sie besitzen die Milde der Mönche und die Kühnheit der Ritter."

Der zukünftige St. Bernhard verschaffte dem bröckelnden Orden schnell die Aufmerksamkeit von Papst Honorius Scannabecchi, indem er darum bat, dass die kleine Gruppe von Rittern in Jerusalem in seiner Obhut eine "Regel" bekommen sollte. Eine eigene Verfassung, die Verhaltensmaßregeln enthielte, so dass sie innerhalb der Kirche Legitimität und einen festen Status bekämen. Das wurde ihnen schließlich am 31. Januar 1128 gewährt, als Hugo de Payen vor dem Konzil von Troyes erschien. Diese illustre Versammlung stand unter dem Vorsitz des Kardinals von Albano, eines päpstlichen Legaten, und darin saßen die Erzbischöfe von Reims und Sens, nicht weniger als zehn Bischöfe und eine Anzahl Äbte, zu denen auch Bernhard gehörte.
Der Antrag wurde vorgebracht, und die Tempelritter bekamen das Recht zugesprochen, einen eigenen Mantel – der zu diesem Zeitpunkt nur rein weiß war – zu tragen, und ihre Verfassung. Jetzt waren sie für die ganze Welt Ritter und Mönche.
Am meisten faszinierte uns an der Regel der Templer nicht das, was darin stand, sondern das, was nicht darin stand. Nirgendwo wurden Pilger und ihr Schutz erwähnt. Seltsam, dachten wir, dass der scheinbar einzige Grund für die Gründung dieses Ordens so vollkommen übersehen wurde. [...]
Gleich nachdem ihnen ihre Regel verliehen worden war, nahm der Einfluss der Templer zu.
Sie wurden von unzähligen einflussreichen Landbesitzern unterstützt, und aus allen Ecken der christlichen Welt flossen ihnen Zuwendungen zu. Bernhard hatte den Papst von ihrem Wert überzeugt, und plötzlich wurde es Mode, sie mit Reichtümern zu überschütten. Hugo de Payen und André de Montbard kehrten zwei Jahre nach ihrer Abreise wieder nach Jerusalem zurück, und ihr Erfolg war überwältigend.
Diese beiden Ritter waren mit nichts nach Westen gezogen und mit einer päpstlichen Verfassung, Geld, Wertsachen, Landbesitz und nicht weniger als dreihundert rekrutierten Adligen, die Hugo de Payen als Großmeister eines größeren Ordens folgten, zurückgekehrt.
Hugo de Payen musste doch einen Gewinn versprochen haben, um ein so großes Interesse zu erregen und eine solche Unterstützung zu bekommen. [...]
Die neuen Mitglieder des Ordens wurden auf Armut, Keuschheit und Gehorsam eingeschworen ...


S. 49) Reichskirche mit Interpretationshoheit

Wir wissen heute, dass die Templer unter großen Mühen die Ruinen des herodianischen Tempels ausgruben und dass der Niedergang des Ordens mit dem Vorwurf der Häresie begann. Falls die Templer häretischen Glaubenssätzen anhingen und seltsame Rituale durchführten, schien es durchaus möglich, dass der Ursprung dafür in einem Schriftstück oder Schriftstücken lag, die sie gefunden hatten.
Falls diese Ritter im 12. Jh. irgendwelche alten Texte entdeckt haben sollten, erlangten sie durch ihre Interpretation eine einzigartige Stellung. Obwohl man allgemein der Auffassung ist, dass die Ritter Analphabeten waren, so konnten ihre Seelsorger doch viele Sprachen lesen und schreiben, und sie waren berühmt für ihre Fähigkeit, neue Schriften zu entwickeln und zu entschlüsseln. Wir verfolgten weiter diesen Weg und wussten dabei nicht, dass der Beweis für die wichtige Rolle eines Templers direkt vor unserer Nase war – nämlich in dem Ritual eines maurerischen Grades, den keiner von uns beiden erlangt hatte.


S. 52) (Uneingeweihtes unmystisches) Leben als seelischer Tod
und
Auferstehung als Augenblick der Erleuchtung

Es gab große Unterschiede bei den beiden frühchristlichen Überlieferungen die Auferstehung Jesu betreffend.
In dem gnostischen Werk "Traktat über die Auferstehung" wird das Leben als seelischer Tod, aber die Auferstehung als der Augenblick der Erleuchtung, der enthüllt, was wirklich leben heißt, beschrieben.
Jeder, der diesem Gedankengang folgt, erhält seelisches Leben und kann sofort von den Toten auferstehen. Den gleichen Gedanken findet man im Evangelium des Philipp, das sich über "die dummen Christen" lustig macht, "die die Auferstehung wörtlich nehmen:

Die, die behaupten, sie werden erst sterben und dann auferstehen, irren sich.
Sie müssen die Auferstehung empfangen, solange sie leben."

Diese Beschreibung einer Auferstehung während des Lebens erinnerte uns beide an das Hauptthema der maurerischen Zeremonie des dritten Grades und ermutigte uns, weiter nach der Ursache des Streites darüber, ob die Auferstehung Jesu wörtlich zu nehmen ist, zu forschen.

October 10, 2010

Spinozas Gott



Christopher Hitchens 2007: God is not great

pt 1 & pt 2 & pt 3 & pt 4


S. 306-311) "Die Toren sprechen in ihrem Herzen: 'Es ist kein Gott.'" Aus welchem Grund auch immer wird diese Bemerkung als so wichtig erachtet, dass sie in der religiösen Apologie immer wieder auftaucht. Aus der ansonsten unsinnigen Feststellung lässt sich nur ableiten, dass der Unglaube – nicht nur die Häresie und die Apostasie, sondern der Unglaube schon in jener weit zurückliegenden Epoche bekannt war. Wenn man berücksichtigt, dass die Herrschaft des Glaubens mit seinen brutalen Strafen damals uneingeschränkt und unangefochten war, wäre wohl eher derjenige ein Tor gewesen, der seine Folgerungen nicht tief in seinem Herzen verborgen hätte, wobei es in diesem Fall interessant wäre zu erfahren, woher der Psalmist es dann überhaupt wusste. Nicht umsonst sperrte man in der Sowjetunion Dissidenten wegen "reformistischer Wahnvorstellungen" ins Irrenhaus, weil die Vernunft den Schluss nahe legte, dass jemand, der verrückt genug war, Reformen anzuregen, jeglichen Selbsterhaltungstrieb eingebüßt hatte. Unserer Spezies werden die Toren nicht ausgehen, doch ich wage die Behauptung, dass es mindestens so viele leichtgläubige Idioten gegeben hat, die ihren Glauben an Gott bekannten, wie Tölpel und Einfaltspinsel, die zu einem anderen Ergebnis gelangten. Es wäre wohl vermessen zu behaupten, dass Intelligenz und Neugier aufseiten der Atheisten wahrscheinlicher ist, doch zumindest haben zu allen Zeiten Menschen darauf hingewiesen, wie unwahrscheinlich Gott ist, wie viel Böses in seinem Namen getan wird, dass er sehr wahrscheinlich vom Menschen geschaffen wurde und dass es durchaus harmlosere Überzeugungen und Erklärungen gibt. Die Namen dieser Männer und Frauen kennen wir nicht, weil sie zu allen Zeiten und allerorten rücksichtslos unterdrückt wurden. Aus dem gleichen Grund wissen wir auch nicht, wie viele nach außen hin fromme Menschen insgeheim ungläubig waren. Noch im 18. und 19. Jh. hielten es in so vergleichsweise freien Ländern wie Großbritannien und den USA wohlsituierte und begüterte Atheisten wie James Stuart Mill und Benjamin Franklin für ratsam, ihre Ansichten für sich zu behalten. Wenn wir daher von der Schönheit "christlicher" Malerei und Architektur oder von den Errungenschaften "islamischer" Astronomie und Medizin lesen, sind zivilisatorische und kulturelle Fortschritte gemeint – zum Teil von den Azteken und den Chinesen vorweggenommen – die so viel mit dem "Glauben" zu tun haben wie ihre Vorläufer mit Menschenopfern und Imperialismus. Und abgesehen von sehr wenigen Einzelfällen, können wir nicht wissen, wie viele dieser Architekten, Maler und Forscher sich der Überprüfung ihrer innersten Gedanken durch die Gottesfürchtigkeit entzogen. Galilei hätte seiner Arbeit mit dem Fernrohr womöglich ungestört nachgehen können, hätte er nicht unklugerweise deren kosmologische Folgen zugegeben.
Skepsis, Glaubenszweifel und ausgemachter Unglauben äußern sich schon immer auf die im Wesentlichen gleiche Art. Seit jeher wurde aus der Beobachtung der natürlichen Ordnung gefolgert, dass ein Schöpfer nicht da oder nicht notwendig sei. Seit jeher wird scharfsinnig erkannt, dass die Religion menschliche Wünsche oder Entwürfe widerspiegelt. Es war nie besonders schwer zu erkennen, dass die Religion Hass und Krieg verursacht und dass das Festhalten an ihr Ignoranz und Aberglauben voraussetzt. Satiriker und Dichter, Philosophen und Forscher erklärten, wenn Dreiecke Götter hätten, so wären ihre Götter dreieckig, so wie die thrakischen Götter blond und blauäugig waren.

Der Gedanke muss zwar schon vorher dagewesen sein, doch erstmals wird die Kollision zwischen unserem logischen Denkvermögen und einer Form des organisierten Glaubens wohl in dem Prozess gegen Sokrates im Jahr 399 v.Chr. beispielhaft vorgeführt. Für mich ist es dabei völlig unerheblich, dass wir nicht mit Sicherheit wissen, ob Sokrates überhaupt existiert hat. Die Zeugnisse seines Lebens und seine Worte sind uns über ähnlich viele Umwege überliefert wie die Bücher der jüdischen und christlichen Bibel sowie der Hadith des Islam. Die Philosophie ist indes auf Beweise gar nicht angewiesen, weil sie sich nicht mit "offenbarter" Weisheit befasst. Die Berichte, die uns zum Leben des Sokrates vorliegen – eines stoischen Soldaten, der äußerlich ein wenig dem Schwejk ähnelte, eine zänkische Frau hatte und zur Katalepsie neigte – sind plausibel und völlig hinreichend. Auf Platons Wort hin, der immerhin ein Zeitgenosse war, dürfen wir annehmen, dass Sokrates in Athen in einer Phase der Paranoia und Tyrannei wegen Gottlosigkeit angeklagt wurde und wusste, dass er sein Leben verlieren würde. Wie aus den wunderbaren Worten der Apologie hervorgeht, beabsichtigte er nicht, seine Haut zu retten, indem er auf etwas schwor, an das er nicht glaubte – wie es später einer tat, der mit der Inquisition konfrontiert war. Sokrates war zwar kein Atheist, galt aber zurecht als unzuverlässig, weil er für Gedankenfreiheit und freie Forschung eintrat und sich weigerte, Dogmen jeglicher Art gutzuheißen. Alles, was er wirklich "wusste", so sagte er, war das Ausmaß seines eigenen Nichtwissens – das ist für mich die Definition eines gebildeten Menschen.
Platon zufolge hielt sich der große Athener durchaus an die üblichen Riten der Stadt, sagte aus, er habe vom Orakel von Delphi den Auftrag erhalten Philosoph zu werden, und sprach nach seiner Verurteilung zum Tod durch den Schierlingsbecher auf dem Sterbebett von einem Leben nach dem Tod, in dem jene, die durch geistige Übung die Welt hinter sich gelassen hätten, möglicherweise ein Dasein des reinen Geistes führen würden. Doch auch hier versäumte er nicht, einzuschränkend hinzuzufügen, es könne durchaus auch anders sein. Die Frage war es wie immer wert ihr nachzugehen. Die Philosophie beginnt, wo die Religion aufhört, so wie die Astronomie die Astrologie weiterführt und die Chemie ansetzt, wo die Alchemie nicht mehr weiterweiß.

Von Sokrates lassen sich darüber hinaus zwei überaus wichtige Argumente übernehmen. Erstens, dass das Gewissen angeboren ist, und zweitens, dass dogmatische Glaubensanhänger von einem, der ihre Lehren wörtlich zu nehmen vorgibt, gnadenlos vorgeführt werden können.
Sokrates glaubte, einen Daimon zu haben, ein Orakel oder eine innere Stimme, dessen gute Ratschläge er dankbar annahm. Jeder, so er nicht gerade ein Psychopath ist, kennt dieses Gefühl mehr oder weniger ausgeprägt. Adam Smith hatte einen ständigen Partner, mit dem er unhörbar im Gespräch war und der als innere Kontrolle fungierte. Sigmund Freud beschrieb die Stimme der Vernunft als leise aber hartnäckig. C.S. Lewis meinte derweil, das Vorhandensein des Gewissens sei ein Hinweis auf den göttlichen Funken, und versuchte damit des Guten zu viel zu beweisen. Heute heißt es durchaus zutreffend, unter dem Gewissen sei das zu verstehen, was uns zu gutem Benehmen veranlasst, wenn niemand hinsieht. Sokrates jedenfalls weigerte sich strikt etwas zu sagen, dessen er sich moralisch nicht sicher war. Manchmal brach er, wenn er sich selbst der Spiegelfechterei oder der Schaumschlägerei verdächtigte, mitten in der Rede ab. Seinen Richtern erklärte er, sein "Orakel" habe ihn in seiner Verteidigungsrede an keiner Stelle unterbrochen. Wer das Gewissen als Nachweis für Gottes ordnende Hand anführt, bringt ein Argument vor, das sich weder beweisen noch widerlegen lässt. Der Fall Sokrates jedoch zeigt, dass Männer und Frauen, die über ein wahrhaftiges Gewissen verfügen, es häufig gegen den Glauben behaupten müssen.
Sokrates drohte der Tod, doch er hatte die Möglichkeit, bei einer Verurteilung auf Strafminderung zu plädieren. Stattdessen bot er in beinahe beleidigendem Ton die Zahlung einer lächerlichen Geldstrafe an. Nachdem er seinen verärgerten Richtern keine andere Möglichkeit als die Höchststrafe gelassen hatte, erklärte er, warum seine Ermordung durch sie für ihn ohne Bedeutung sei. Der Tod habe keinen Schrecken: entweder sei er ein ewiger Schlaf oder die Chance auf Unsterblichkeit – ja, auf eine Zwiesprache mit großen Griechen wie Orpheus und Homer, die vor ihm gestorben seien. In diesem glücklichen Fall, so merkte er trocken an, möchte man ja sogar immer wieder sterben. Für uns spielt es überhaupt keine Rolle, dass das Orakel von Delphi der Vergangenheit angehört und dass Orpheus und Homer mythische Gestalten sind. Entscheidend ist für uns, dass Sokrates seine Ankläger mit ihren eigenen Waffen schlug, indem er ihnen sagte: ich weiß nicht genau, was es mit dem Tod und den Göttern auf sich hat, aber ich weiß mit Sicherheit, dass ihr es auch nicht wisst.
Die antireligiöse Wirkung des Sokrates und seiner sanften, aber unnachgiebigen Fragen geht auch aus einem Theaterstück hervor, das noch zu seinen Zeiten verfasst und aufgeführt wurde. In Die Wolken des Aristophanes unterhält ein Philosoph namens Sokrates eine Skeptikerschule. Ein Bauer aus der Umgebung stellt die üblichen begriffsstutzigen Fragen, die Gläubige eben so stellen: wenn es Zeus nicht gibt, wer sorgt dann für den Regen, der das Getreide bewässert? Sokrates fordert den Mann auf, einmal seinen Kopf zu benutzen: der Regen würde doch, wenn Zeus ihn machen könnte, auch aus einem wolkenlosen Himmel fallen. Da das nicht geschieht, wäre es da nicht klüger anzunehmen, dass die Wolken die Ursache für den Regen sind? Na gut, sagt der Bauer, wer bewegt aber dann die Wolken? Doch sicher Zeus? Nein, sagt Sokrates und erklärt ihm die Wirkungsweise des Windes und der Wärme. Aha, erwidert der alte Landmann, aber wo kommt der Blitz her, der Lügner und andere Missetäter straft? Der Blitz, lautet die sanfte Antwort, macht keinen Unterschied zwischen dem guten und dem schlechten Menschen. Ja häufig schlägt er in die Tempel des olympischen Zeus höchstpersönlich ein. Damit hat er den Bauern auf seiner Seite, der allerdings später seine Gottlosigkeit widerruft und die Schule samt Sokrates darin niederbrennt. Manch ein Freidenker hat seither das gleiche Schicksal erlitten oder ist ihm nur knapp entgangen. Alle größeren Gefechte um das Recht auf Gedankenfreiheit, Redefreiheit und freie Forschung sind so abgelaufen, dass die Religion sich mit ihrem prosaischen und engstirnigen Denken gegen den ironischen und nachforschenden Geist durchzusetzen versucht hat.

S. 312-320) Von allen Begründern der Antireligion ist der römische Dichter Lukrez in mancherlei Hinsicht der interessanteste und faszinierendste. Er lebte im ersten vorchristlichen Jahrhundert und bewunderte das Werk des Epikur über alle Maßen. In Reaktion auf eine Wiederbelebung des alten Glaubens durch Kaiser Augustus verfasste er ein geistreiches und kunstvolles Gedicht mit dem Titel De rerum natura (Über die Natur der Dinge). Dieses Werk wurde im Mittelalter von christlichen Fanatikern beinahe zerstört, und nur ein Manuskript hat die Zeit überdauert. Wir können von Glück sagen, dass es zur Zeit des Julius Cäsar und des Cicero, der das Lehrgedicht zuerst veröffentlichte, überhaupt noch einen Dichter gab, der sich weiter für den Atomismus stark machte. Mit seiner Aussage, die Aussicht auf eine künftige Annihilation sei nicht schlimmer als das Nachdenken über das Nichts, aus dem wir gekommen seien, nahm Lukrez David Hume voraus. Sigmund Freud klingt bereits an, wenn sich Lukrez über die Begräbnisriten und Gedenkzeremonien lustig macht, aus denen der fruchtlose und unsinnige Wunsch spreche, der eigenen Bestattung beizuwohnen. Aristophanes folgend, meinte er, das Wetter erkläre sich selbst, und das Werk, das törichte und egozentrische Menschen als göttlich inspiriert betrachteten oder auf ihr schwaches Ego bezogen, verrichte, völlig frei von Göttern, die Natur:

Wer kann kräftig die Zügel der unermesslichen Tiefe halten in leitender Hand, wer alle die Himmel im Gleichmaß drehn und fruchtbar die Erde mit Flammen des Äthers erwärmen, gegenwärtig zu jeglicher Zeit und an jeglichem Orte, um bald Dunkel durch Wolken zu schaffen und Donner erregend heiteren Himmel zu trüben, bald Blitze zu senden und häufig selbst die eigenen Tempel zu schädigen oder im Wüten selbst auf Wüsten Geschosse zu richten, die harmlose Leute und Unschuldige töten, dagegen die Schuldigen meiden?

Der Atomismus wurde im gesamten christlichen Europa viele Jahrhunderte lang aus dem durchaus vernünftigen Grund erbittert verfolgt, dass er die natürliche Welt sehr viel besser erklärte, als die Kirche das konnte. Doch wie ein gedanklicher Faden überlebte das Werk des Lukrez im Geiste einiger weniger Gelehrter. Sir Isaac Newton mag gläubig gewesen sein – er glaubte nicht nur an Jesus Christus, sondern auch an alle möglichen Pseudowissenschaften – doch in den ersten Entwürfen seiner Philosophiae naturalis principa mathematica (Mathematische Grundlagen der Naturphilosophie) zitiert er neunzig Zeilen aus De rerum natura. Galilei erwähnt Epikur in seinem 1623 entstandenen Werk Saggiatore zwar nicht direkt, stützt sich aber so stark auf dessen Atomtheorie, dass Freunde wie Kritiker es als epikureisch bezeichneten.
Wenn man bedenkt, dass die Kirche in den frühen christlichen Jahrhunderten Wissenschaft und Forschung grausam verfolgte (Augustinus zufolge gab es die heidnischen Götter, allerdings in Form von Teufeln, und die Erde war angeblich weniger als 6.000 Jahre alt) und dass es die meisten intelligenten Menschen für ratsam hielten, sich nach außen konform zu geben, ist es kaum verwunderlich, dass die Wiederbelebung der Philosophie häufig in fromme Worte gekleidet wurde. Die Anhänger der in seiner kurzen Blütezeit in Andalusien zugelassenen Philosophieschulen – eine Synthese aus aristotelischer Philosophie, Judaismus, Christentum und Islam – durften über die Dualität in der Wahrheit und ein mögliches Gleichgewicht zwischen Vernunft und Offenbarung spekulieren. Dieses von Anhängern des Averroes vorgebrachte Konzept der "Doppelten Wahrheit" wurde jedoch von der Kirche aus offensichtlichen Gründen strikt abgelehnt. In der Regierungszeit Königin Elizabeths schrieb Francis Bacon – vielleicht in Anlehnung an Tertullian, der sagte, je lächerlicher etwas sei, desto intensiver werde daran geglaubt – der Glaube sei am größten, wenn die Lehren am wenigsten der Vernunft zugänglich seien [siehe Mystagogie]. Pierre Bayle machte sich wenige Jahrzehnte nach ihm einen Spaß daraus, zunächst alle vernünftigen Argumente gegen einen bestimmten Glaubenssatz anzuführen, und fügte hinzu, dass der Triumph des Glaubens dadurch nur umso größer werde. Wir können ziemlich sicher sein, dass er damit nicht nur eine Bestrafung vermeiden wollte. Die Zeit, da die Ironie das Fanatische und Prosaische ins Bockshorn jagen würde, war nicht mehr fern.

Doch ohne Racheaktionen und Rückzugsgefechte von Seiten der Fanatiker ging es nicht ab. Im 17. Jh. bot das streitbare kleine Holland eine kurze, aber großartige Zeit lang als toleranter Gastgeber zahlreichen Freidenkern wie Bayle und Descartes Zuflucht. Ebenfalls in Holland kam ein Jahr vor der Anklageerhebung gegen Galilei durch die Inquisition der große Baruch Spinoza zur Welt, Sohn spanischer und portugiesischer Juden, die sich ihrerseits in Holland vor Verfolgung in Sicherheit gebracht hatten. Am 27. Juli 1656 sprachen die Vorsteher der Amsterdamer Synagoge folgenden Cherem oder Bannspruch gegen Spinoza und sein Werk aus:

Nach dem Urteil der Engel und der Aussage der Heiligen verbannen, verfluchen, verwünschen und verdammen wir Baruch d'Espinosa ... Er sei verflucht bei Tag und verflucht bei Nacht, verflucht sein Hinlegen und verflucht sein Aufstehen, verflucht sein Gehen und verflucht sein Kommen ... Hütet euch, dass niemand mündlich noch schriftlich mit ihm verkehre, niemand ihm die geringste Gunst erweise, niemand unter einem Dach mit ihm wohnt, niemand sich ihm auf vier Ellen nähere, niemand eine von ihm gemachte oder geschriebene Schrift lese.

An die mehrmaligen Verfluchungen schließt sich die Aufforderung an alle Juden an, jeglichen Kontakt mit Spinoza sowie die Lektüre seiner Schriften zu meiden. Erwähnt wird in diesem Kontext übrigens auch der Fluch des Elisa. In dieser überaus erhebenden biblischen Geschichte verflucht Elisa, von Kindern wegen seines Kahlkopfes gehänselt, diese im Namen des Herrn, worauf zwei Bären aus dem Wald kommen und die Kinder in Stücke reißen. Thomas Paine hatte schon seine Gründe, als er sagte, er könne an keine Religion glauben, die Kinderseelen erschüttere.
Der Vatikan und die calvinistischen Kirchenführer Hollands begrüßten Spinozas hysterische Verurteilung durch die Juden und eilten ihnen bei der europaweiten Unterdrückung aller seiner Werke zu Hilfe. Hatte der Mann nicht die Unsterblichkeit der Seele infrage gestellt und die Trennung von Kirche und Staat gefordert? Hinweg mit ihm!
Heute genießen der damals verfemte Ketzer und das eigenständigste philosophische Werk, das je zur Unterscheidung zwischen Geist und Körper verfasst wurde, höchste Anerkennung. Seine Gedanken zur Conditio humana haben nachdenklichen Menschen mehr Trost gespendet als jede Religion. Bis heute ist ungeklärt, ob Spinoza Atheist war, doch der Streit darum, ob es sich beim Pantheismus nun um Atheismus handelt oder nicht, mutet heutzutage schon seltsam an. Spinoza argumentiert durchaus im Rahmen eines Theismus, doch indem er Gott als etwas beschreibt, das sich in der gesamten natürlichen Welt manifestiert, ist er drauf und dran, einen religiösen Gott wegzudefinieren. Und wenn es eine alles durchdringende, präexistente kosmische Gottheit gibt, die ein Teil dessen ist, was sie erschafft, so bleibt kein Raum für einen Gott, der in das Leben der Menschen eingreift, geschweige denn für einen, der in brutalen Kleinkriegen zwischen jüdischen und arabischen Sippen Partei ergreift. So ein Gott kann keinen Text verfasst oder inspiriert haben, und er kann auch nicht Exklusiveigentum einer einzelnen Sekte oder Sippe sein. Erinnern wir uns an die Frage, die Chinesen den ersten christlichen Missionaren in China stellten. Wenn Gott sich offenbart hat, wie kommt es dann, dass er so viele Jahrhunderte wartete, bis er es die Chinesen wissen ließ? Schon der Prophet Mohammed riet einem Hadith zufolge: "Strebe nach Wissen, selbst wenn es in China ist!" Ohne es zu wissen, verwies er damit darauf, dass die größte Zivilisation der Erde damals am äußersten Rand der ihm bekannten Welt lag. So wie Newton und Galilei auf Demokrit und Epikur aufbauten, so beeinflusste Spinoza Einstein, der auf die entsprechende Frage eines Rabbiner energisch antwortete, er glaube nur an "Spinozas Gott", nicht aber an einen Gott, der sich mit dem Schicksal und den Taten der Menschen befasse.

Spinoza entjudaisierte seinen Namen, indem er sich den Vornamen Benedikt gab, und überlebte den Bann von Amsterdam um zwanzig Jahre. Er pflegte einen ruhigen und rationalen Konversationsstil und starb überaus stoisch an Glasstaub, der ihm in die Lunge eingedrungen war: er hatte sich dem Schleifen von Linsen für Teleskope und medizinische Geräte gewidmet – eine angemessene wissenschaftliche Tätigkeit für einen, der die Menschen lehrte, genauer hinzusehen. "Alle unsere heutigen Philosophen, vielleicht oft ohne es zu wissen," schreibt Heinrich Heine, "sehen durch die Brillen, die Baruch Spinoza geschliffen hat." Heines Gedichte wiederum wurden später von geistlosen Nazis, die einem assimilierten Juden nicht einmal zugestehen wollten, ein richtiger Deutscher zu sein, auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Die verängstigten, rückständigen Juden, die Spinoza ächteten, hatten eine Perle weggeworfen, die wertvoller war als ihr gesamter Stamm. Der Leichnam ihres mutigsten Sohnes wurde nach seinem Tod entwendet und zweifellos weiteren Ritualen der Entweihung unterworfen.
Spinoza hatte das zum Teil kommen sehen. Seinen Briefen fügte er das Wort Cauté! ("Vorsicht!") hinzu, mit einer kleinen Rose darunter. Und nicht nur das war sub rosa: für den Druck seines gefeierten Buches Tractatus gab er einen falschen Namen an und ließ auf der Titelseite den Namen des Autors ganz weg. Sein verbotenes Werk, das seinen Tod nur durch den Mut und Einsatz eines Freundes überdauerte, lebte in den Schriften anderer weiter. Pierre Bayle widmete Spinoza in seinem 1667 erstmals erschienenen Historischen und kritischen Wörterbuch den längsten Eintrag. Montesquieus Vom Geist der Gesetze wies dermaßen enge Bezüge zu Spinozas Schriften auf, dass der Autor von der kirchlichen Obrigkeit in Frankreich gezwungen wurde, sich von dem jüdischen Monster zu distanzieren und öffentlich seinen Glauben an einen (christlichen) Schöpfer zu erklären. Die große Enzyklopädie, herausgegeben von Diderot und d'Alembert, in der später der Begriff der Aufklärung definiert wurde, enthält einen umfangreichen Eintrag über Spinoza.
Einen schweren Fehler christlicher Apologeten möchte ich nicht wiederholen: völlig überflüssigerweise gaben sie sich große Mühe nachzuweisen, dass weise Männer, die vor Christi Geburt gelebt hatten, im Grunde Propheten und Kündiger seines Kommens waren – noch im 19. Jh. verschwendete William Gladstone viel Papier auf den Versuch, für die antiken Griechen einen solchen Beweis zu erbringen. Es steht mir nicht zu, Philosophen vergangener Epochen als Vorläufer des Atheismus zu vereinnahmen. Allerdings kann ich sehr wohl darauf hinweisen, dass wir aufgrund der damals herrschenden religiösen Intoleranz nicht wissen, was sie privat dachten, und dass es uns beinahe verwehrt worden wäre zu erfahren, was sie öffentlich schrieben. Selbst der relativ konformistische Descartes, der es für ratsam hielt, sich in das zwanglosere Klima der Niederlande zu begeben, plante für seinen eigenen Grabstein Ovids lapidare Worte: "Wer verborgen gelebt hat, hat gut gelebt."
Im Fall Pierre Bayles und Voltaires beispielsweise ist es nicht so leicht zu entscheiden, ob sie religiös waren oder nicht. Methodisch neigten sie gewiss zur Respektlosigkeit und Satire, und ein Leser, der einem unkritischen Glauben anhing, wurde von ihren Werken in diesem Glauben schwer erschüttert. Ihre Schriften waren die Bestseller ihrer Zeit und machten es den Schichten, die neuerdings über Bildung verfügten, unmöglich, die biblischen Geschichten und anderes mehr weiterhin wörtlich zu nehmen. Insbesondere Bayle löste einen großen, aber heilsamen Tumult aus, als er David, den mutmaßlichen Autor der Psalmen, genauer unter die Lupe nahm und die Karriere eines skrupellosen Banditen offen legte. Die Annahme, der Glaube veranlasse die Menschen zu einem besseren und der Unglaube zu einem schlechteren Benehmen, tat er als absurd ab und untermauerte dies mit einer langen Liste beobachtbarer Erfahrungen, was dazu führte, das ihm lobend oder kritisch ein verstohlener Atheismus nachgesagt wurde. Bayle begleitete und verbrämte seine kritischen Aussagen allerdings stets mit eher orthodoxen Einlassungen, denen es wahrscheinlich zu verdanken ist, dass sein erfolgreiches Werk eine zweite Auflage erlebte. Auch Voltaire schuf mit frommen Gesten ein Gegengewicht zur bissigen Verspottung der Religion und regte ironisch an, dass sein Grab – was machen sich die Leute für Gedanken über die eigene Beerdigung! – dereinst halb in und halb außerhalb der Kirche liegen solle. Allerdings verfasste er eine hochgelobte Schrift für die bürgerliche Freiheit und die Gewissensfreiheit, mit der er die posthume Rehabilitierung des ungerechtfertigt zum Tod verurteilten Jean Calais erreichte. Dieser war gefoltert, gerädert und verbrannt worden, weil er angeblich seinen Sohn umgebracht hatte, um diesen am Übertritt zum Katholizismus zu hindern. Voltaire wusste dank seiner eigenen Erfahrung mit der Bastille sehr wohl, dass nicht einmal er sich gänzlich in Sicherheit wiegen konnte. Das sollten wir nicht vergessen.

Immanuel Kant hing eine Zeit lang dem Glauben an, alle Planeten seien bewohnt, und je größer die Entfernung zur Erde, desto besser der Charakter der Bewohner. Doch selbst aus seiner rührend beschränkten Kenntnis des Universums heraus konnte er überzeugende, vernunftgestützte Argumente gegen theistische Darstellungen vorbringen. Den guten alten teleologischen Gottesbeweis, damals wie heute ein Dauerbrenner, durfte man laut Kant so großzügig interpretieren, dass er einen Architekten zuließ, nicht aber einen Schöpfer. Den kosmologischen Gottesbeweis, nach dem die eigene Existenz eine andere Existenz voraussetzt, verwarf er, weil er lediglich das ontologische Argument wieder aufnehme. Den ontologischen Beweis wiederum machte er zunichte, indem er gegen die naive Vorstellung anging, Gott sei, wenn er als Idee wahrgenommen oder als Prädikat gesetzt werden könne, auch existent. Mit diesem überkommenen Quatsch räumt auch Penelope Lively in ihrem hochgelobten Roman Moon Tiger auf. Obwohl sie ihre Tochter Lisa als ein "langweiliges Kind" beschreibt, freut sich die Erzählerin doch über ihre überraschenden Fragen:

"Gibt es Drachen?," fragte sie. Ich sagte, nein. "Hat es denn mal welche gegeben?" Ich sagte, alles, was wir wüssten, deute auf das Gegenteil hin. "Aber wenn es das Wort 'Drache' gibt, müssen doch auch Drachen dagewesen sein."

Wer hat nicht schon ein unschuldiges Kind vor der Widerlegung einer solchen Ontologie bewahrt? Doch um zum Kern der Sache zu kommen und weil wir nicht ewig Zeit haben, erwachsen zu werden, halte ich mich doch lieber an Kant, der die Existenz eben nicht als Prädikat betrachtet: "Hundert wirkliche Taler enthalten nicht das Mindeste mehr als hundert mögliche." Ich habe Kants Gegenbeweise hier in umgekehrter Reihenfolge angeführt, um den Bogen zu dem 1573 von der Inquisition in Venedig dokumentierten Fall eines gewissen Matteo de Vincenti zu spannen. De Vicenti erklärte, es sei unsinnig, an die Doktrin der Anwesenheit Christi in der Messe zu glauben: "Lieber würde ich daran glauben, dass ich Geld in der Tasche hätte." Kant wusste nichts von diesem seinem Vorläufer aus dem gemeinen Volk, und als er zum dankbareren Thema Ethik überging, wusste er vielleicht auch nicht, dass sein "kategorischer Imperativ" ein Echo der "Goldenen Regel" des Rabbi Hillel ist. Kant fordert: "Handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetz werden sollte." Diese Aussage zum gegenseitigen Interesse und zur Solidarität macht eine durchsetzende oder übernatürliche Macht hinfällig. Wozu sollte sie auch da sein? Der menschliche Anstand leitet sich nicht aus der Religion ab. Er geht ihr voraus.

S. 323-329) Charles Darwin kam noch zu Paines und Jeffersons Lebenszeit zur Welt, und sein Werk konnte endlich dem Wissensdefizit abhelfen, mit dem sie im Bereich des Ursprungs der Pflanzen und Tiere und anderer Naturphänomene noch zu kämpfen hatten. Doch selbst Darwin war, als er seine Forschungen als Botaniker und Naturhistoriker aufnahm ziemlich sicher, dass er im Einklang mit Gottes Plan handelte. Immerhin hatte er Geistlicher werden wollen. Mit jeder neuen Entdeckung versuchte er sein Wissen mit dem Glauben an eine höhere Intelligenz in Einklang zu bringen. Wie Edward Gibbon wusste er im Voraus, dass die Veröffentlichung seiner Forschungen kontrovers aufgenommen werden würde, und bereitete sich vorsorglich – nicht so umfangreich wie Gibbon allerdings – schon einmal auf seine Verteidigung vor. Am Anfang machte er sich gar selbst Vorwürfe, die sehr nach dem Unsinn klangen, den die Vertreter des "Intelligent Design" heute gern verbreiten: nun, da wir die unwiderlegbaren Beweise für die Evolution vor Augen haben, lässt sich da nicht mit Fug und Recht behaupten, dass Gott noch viel großartiger ist, als wir es bisher angenommen haben? Da er aber selbst davon nicht restlos überzeugt war, fürchtete er, seine Schriften zur natürlichen Auslese würde seine Reputation ruinieren, gerade so, als hätte er einen Mord gestanden. Wollte er je den Nachweis führen, dass eine Anpassung an den Lebensraum stattgefunden hat, das war ihm bewusst, würde er etwas noch viel Beunruhigenderes eingestehen müssen: dass es keine erste Ursache, keinen großen Plan gibt.
Die Symptome der so vertrauten Verschleierung und Verschlüsselung durchziehen die gesamte erste Ausgabe des Buches Die Entstehung der Arten. Der Begriff Evolution taucht überhaupt nicht auf, wohingegen das Wort Schöpfung recht häufig fällt. (Interessanterweise trugen Darwins erste Notizbücher aus dem Jahr 1837 den vorläufigen Titel Die Transmutation der Arten, der wie der archaischen Alchemistensprache entnommen klingt.) Auf der Titelseite fand sich dann ein Zitat des offenbar als respektabel geltenden Francis Bacon, nach dem es nicht nur das Wort Gottes, sondern auch sein Werk zu studieren gelte. In Die Abstammung des Menschen wagte sich Darwin etwas weiter aus der Reserve, ließ den Text aber immer noch durch seine fromme und geliebte Frau Emma redigieren. Nur in seiner Autobiographie, die nicht zur Veröffentlichung vorgesehen war, und in einigen Briefen an Freunde räumte er ein, dass er seinen Glauben eingebüßt habe. Seine "agnostische" Schlussfolgerung hatte viel mit seinem Leben und seiner Arbeit zu tun: er hatte zahlreiche Verluste erlitten, die er nicht mit einem liebevollen Schöpfer, geschweige denn mit der christlichen Lehre einer ewigen Bestrafung vereinbaren konnte. Wie viele noch so kluge Menschen neigte er zu jener Egozentrik, die über Wohl oder Wehe des Glaubens entscheidet und voraussetzt, dass sich das Universum mit unserem Schicksal befasst. Darwins wissenschaftliche Stringenz erscheint in diesem Licht allerdings umso verdienstvoller, und seine Arbeit steht auf einer Stufe mit der des Galilei, da sie ausschließlich der Wahrheitsfindung diente. Dass sie von der – falschen und enttäuschten – Erwartung motiviert wurde, diese Wahrheit wäre am Ende ein Widerhall des Lobliedes ad majorem Die gloriam, spielt dabei keine Rolle.
Nach seinem Tod wurde auch Darwin von einem hysterischen Christen mit der Lüge verunglimpft, der große, aufrichtige und gequälte Forscher habe bis zuletzt mit der Bibel geliebäugelt. Erst nach geraumer Zeit kam man dem erbärmlichen Schwindler, der dieses Vorgehen für edel hielt, auf die Schliche.

Als Sir Isaac Newton wahrscheinlich zurecht wissenschaftliches Plagiat vorgeworfen wurde, machte er das vorsichtige Eingeständnis – seinerseits ein Plagiat – er genieße bei seiner Arbeit das Privileg, "auf den Schultern von Giganten" zu stehen. Diese Aussage wäre im ersten Jahrzehnt des 21. Jh. stark untertrieben. Wann immer mir danach ist, kann ich mich mithilfe eines einfachen Laptops mit Leben und Werk des Anaxagoras, des Erasmus, des Epikurs oder Ludwig Wittgensteins vertraut machen. Die Bibliothekslektüre bei Kerzenlicht, ein Mangel an Texten oder Schwierigkeiten, mit Gleichgesinnten Verbindung aufzunehmen, gehören anderen Zeitaltern oder Gesellschaften an und stellen für mich kein Problem dar. Auch muss ich – wenn mir nicht gerade eine unfreundliche Stimme am Telefon den Tod oder die Hölle oder beides an den Hals wünscht – nicht ständig fürchten, dass ich als Folge meiner Veröffentlichungen meine Arbeit verliere, meine Familie ins Exil fliehen muss oder Schlimmeres erleidet, religiöse Schwindler und Lügner meinen Namen nachhaltig in den Schmutz ziehen oder ich vor die schwierige Wahl zwischen Widerruf und Tod durch Folter gestellt werde. Ich kann Freiheiten genießen und aus einem Wissensfundus schöpfen, die für die Pioniere unvorstellbar waren. Im Rückblick auf die lange Zeit vor mir ist gar nicht zu übersehen, dass die Giganten, auf die ich mich stütze und auf deren breiten Schultern ich stehe, allesamt gezwungen waren, in ihren hoch-, aber nicht ausreichend entwickelten Kniegelenken ein wenig nachzugeben. Nur ein Mitglied aus der Kategorie Giganten und Genies sprach ohne Angst und übergroße Vorsicht aus, was er dachte. Ich zitiere daher noch einmal Albert Einstein, der so gern verzerrt wiedergegeben wurde. Einem Briefpartner, dem eine dieser vielen Entstellungen Sorgen bereitete, schrieb er:

Was Sie über meine religiösen Überzeugungen gelesen haben, war natürlich eine Lüge, und zwar eine Lüge, die systematisch wiederholt wird. Ich glaube nicht an einen personalen Gott und habe das auch nie geleugnet, sondern es deutlich zum Ausdruck gebracht. Wenn etwas in mir ist, das als religiös bezeichnet werden kann, dann ist es die uneingeschränkte Bewunderung für die Struktur der Welt, soweit unsere Wissenschaft sie offenbaren kann.

Jahre später antwortete er auf eine andere Nachfrage:

Ich glaube nicht an die Unsterblichkeit des Individuums und betrachte die Ethik ausschließlich als eine menschliche Angelegenheit ohne übermenschliche Autorität.

Diese Worte kommen von einem Mann, der zurecht für seine Sorgfalt, sein Augenmaß und seine Skrupel bekannt war und der mit seinem Genie eine neue Theorie entwickelte, die, in die falschen Hände gelangt, nicht nur die ganze Welt, sondern auch ihre gesamte Vergangenheit und ihre Zukunft hätte auslöschen können. Fast sein ganzes Leben lang war er damit beschäftigt, sich gegen die Rolle eines strafenden Propheten zu wehren und stattdessen die Botschaft von der Aufklärung und vom Humanismus zu verbreiten. Als Jude, der als solcher ins Exil getrieben, diffamiert und verfolgt worden war, bewahrte er sich möglichst viel vom ethischen Judaismus, lehnte aber die barbarische Mythologie des Pentateuch ab. Wir haben ihm mehr zu verdanken als all den wehklagenden Rabbinern vergangener und heutiger Tage. Als man Einstein übrigens die erste Präsidentschaft des Staates Israel anbot, lehnte er ab, weil er der Entwicklung des Zionismus kritisch gegenüberstand – sehr zur Erleichterung David Ben Gurions, der sein Kabinett nervös gefragt hatte: "Was machen wir, wenn er ja sagt?"

Königin Victoria soll in der schwarzen Tracht der Witwe ihren geschätzten Premierminister Benjamin Disraeli gefragt haben, ob er einen unwiderlegbaren Beweis für die Existenz Gottes anzubieten habe. Disraeli zögerte kurz, ehe er seiner Königin, die er zur "Kaiserin von Indien" gemacht hatte, antwortete: "Die Juden, Ma'am." Das weltliche, wenn auch abergläubische politische Genie sah im Überleben des jüdischen Volkes und seinem bewundernswert hartnäckigen Festhalten an seinen althergebrachten Riten und Geschichten ein Zeichen für das unsichtbare Wirken Gottes. Er selbst verließ da gerade das sinkende Schiff. Noch während er seine Worte sprach, überwanden die Juden zwei Formen der Unterdrückung. Die erste und augenscheinlichste war die Gettoisierung, die ignorante und bigotte christliche Behörden ihnen auferlegt hatten. Sie ist so gut dokumentiert, dass ich nicht näher darauf eingehen muss. Die zweite Form der Unterdrückung indes hatten sie sich selbst auferlegt.
So hatte beispielsweise Napoleon Bonaparte die diskriminierenden Gesetze gegen Juden trotz einiger Vorbehalte aufgehoben – er mag dabei an ihre finanzielle Unterstützung gedacht haben, aber dies nur nebenbei. Doch als seine Armee in Russland einmarschierte, drängten die Rabbiner ihre Herde, sich ausgerechnet auf die Seite des Zaren zu stellen, der sie hatte diffamieren, verprügeln, ausplündern und ermorden lassen. Lieber haben wir diesen judenfeindlichen Despotismus, so die Rabbiner, als auch nur einen Hauch unheiliger französischer Aufklärung. Deshalb ist das törichte und ermüdende Melodrama, das sich in jener Amsterdamer Synagoge abspielte, bis heute so wichtig. Selbst in einem so toleranten Land wie Holland machten die verantwortlichen Rabbiner lieber gemeinsame Sache mit christlichen Antisemiten und anderen Obskuranten, als dem Besten unter ihnen zu gestatten, seiner Intelligenz freien Lauf zu lassen.
Als die Mauern des Gettos fielen, befreite dieser Zusammenbruch die Bewohner deshalb nicht nur von den "Heiden", sondern auch von den Geistlichen. Und nun konnten sich die Begabungen in einem Maß entfalten wie noch in kaum einer Epoche zuvor. Eine bis dahin gelähmte Bevölkerung trug nun erheblich zur Entwicklung der Medizin, der Wissenschaften, der Gesetzgebung, der Politik und der Künste bei. Der Widerhall ist bis heute spürbar. Man denke nur an Marx, Freud und Einstein, Isaac Babel, Arthur Koestler, Billy Wilder, Lenny Bruce, Saul Bellow, Philip Roth, Joseph Heller und zahllose andere, die ein Produkt dieser doppelten Emanzipation sind.

Wenn es einen absolut tragischen Tag in der Menschheitsgeschichte zu benennen gälte, wo wäre es der, an den heute der nichtssagende und ärgerliche jüdische Feiertag Chanukka erinnert. Dieses eine Mal plagiiert nicht das Christentum den Judaismus, sondern die Juden lehnen sich schamlos an die Christen an, in dem erbärmlichen Versuch, eine Feier zeitgleich mit dem Weihnachtsfest abzuhalten, das seinerseits die quasichristliche Annektierung einer heidnischen, ursprünglich vom Polarlicht erhellten Sonnenwendfeier in Nordeuropa ist. Das ist die Endstation, an die uns der banale "Multikulturalismus" gebracht hat. Die Motivation des Judas Makkabäus, im Jahr 165 v.Chr. den Tempel in Jerusalem erneut zu weihen und damit das Datum festzulegen, dessen heute an Chanukka mit Milde im Herzen gedacht wird, war allerdings nicht im Entferntesten multikulturell. Die Makkabäer, Begründer der hasmonäischen Dynastie, führten gewaltsam den mosaischen Fundamentalismus wieder ein, und zwar gegen die vielen Juden in Palästina und anderswo, die sich hatten vom Hellenismus beeinflussen lassen. Diese frühen Multikulturalisten langweilte das "Gesetz", stieß die Beschneidung ab. Sie interessierten sich für griechische Literatur und die körperlichen und intellektuellen Übungen im Gymnasium und kannten sich in der Philosophie gut aus. Sie spürten die Anziehungskraft, die von Athen ausging, wenn auch nur über den Umweg über Rom und die Erinnerung an die Zeiten Alexanders, und sie konnten die nackte Angst und den Aberglauben des Pentateuch nicht ertragen. Den Dienern des alten Tempels waren sie zu kosmopolitisch, und sicher war es ein Leichtes, sie des Loyalitätskonfliktes zu bezichtigen, als sie in den Bau eines Zeustempels ausgerechnet auf dem Grundstück einwilligten, wo früher auf qualmenden und blutigen Altären die strenge Gottheit alter Zeiten milde gestimmt worden war. Als jedenfalls der Vater des Judas Makkabäus beobachtete, wie ein Jude auf dem Altar ein hellenisches Opfer bringen wollte, fackelte er nicht lange und ermordete ihn. Im Verlauf der nächsten Jahre wurden während der makkabäischen "Erhebung" noch viele assimilierte Juden umgebracht, gewaltsam beschnitten oder beides, und den Frauen, die mit der neuen hellenischen Rechtsprechung geliebäugelt hatten, erging es noch schlimmer. Die Römer zogen am Ende die gewalttätigen und dogmatischen Makkabäer den weniger militanten und fanatischen Juden vor, deren Togen im glitzernden Licht des Mittelmeers geschimmert hatten. Damit war dem brutalen Zusammenstoß zwischen dem ultraorthodoxen Sanhedrin und dem Kaiserreich die Bühne bereitet. Dieser düstere Dualismus mündete schließlich ins Christentum – eine weitere jüdische Häresie – und von dort aus unvermeidlich in die Geburt des Islam. Das alles hätte uns erspart werden können.