Christopher Hitchens 2007: God is not great
pt 1 & pt 2 & pt 3 & pt 5
Hitchens debating Timothy Jackson
Jackson:"In Russia until 1917, millions and millions of Russians have been told for hundreds and hundreds of years that the head of their state, the Czar, was not just the absolute dictator and ruler of the country but also the head of the church, and something a little more than human, if a little less than divine. Picture yourself now, if you can, as Joseph Stalin, a Georgian conspirator, a thug, and a seminarian who studied for the priesthood for a long time.
You shouldn't be in the dictatorship business if you are not able to take advantage of a huge reservoir of severity, and credulity, and worship that's already freely handed to you by the Christian predecessors and by the devout who have made Russia the swamp and the sink that it is.
Of course, you're going to erect a regime where the leader is worshipped as if he was supernatural. Of course, you're gonna have heresy hunts every day to find out who the traitors within the church are. Of course, you're gonna have inquisitions to torture people into saying things that no one can believe. Of course, you're going to announce that agriculture from now on is miraculous and you're gonna have three harvests a year because of the pseudo genetics of ().
Of course, you're gonna do that as has been done several times in the attempt to replicate the trick pulled by the Christians and the religious in the real world.
But you surely has a sight here that's gone wrong and gone to famine, and to tyranny, and to dictatorship, and misery, and shame, and torture because it followed the precepts of Lucretius, and Democritus, and Spinoza, and Jefferson, and Russell, and Einstein.
And then we'll be on level playing field, but that's not what my antagonist wants."
"I never say I know the mind of God. The mind of God is a matter of faith and prayer.
When I was going through grad school in philosophy, I was reading Nietzsche, I was reading Freud, I was reading the projection theorists like a lot of folks. I thought this universe was all there is in its material temporal form. It was actually seeing a dog hit by a car that moved me to really completely reverse my view, meaning, I was walking in front of the religious studies department one day, just sort of thump in a horrible squeal, turn around, and there's this beautiful black lab that has been hit, blood coming from the mouth, staggering, clearly dead, clearly morbidly wounded.
It sort of staggered around and I remember thinking I'm looking at my own death. You know, I too, am a mortal creature that will die someday, perhaps in this kind of pain.
But to my great surprise I also had a sense of the absolutely loving presence of a deity also witnessing this, also grieved by it. In short, in that moment, I had a sense of transcendental goodness that holds this world in being, created it, sustains it in existence such that I was the projected person, not God.
One of my students asked me, what's the proof of God's existence?
I say, this is: The fact that the world exists, that the Big Bang created space and time out of nothing, and we are sustained by it. It is in my faithful view the echo of that loving act that we experience every day in receiving forgiveness from other people and giving forgiveness to others.
It's not a dogmatic claim of knowledge but it is a faithful claim based on experience."
S. 266 f.)
Ich habe einmal gehört, wie Louis Farrakhan, Anführer der häretischen "Nation of Islam" mit ausschließlich schwarzen Mitgliedern, der Menge im Madison Square Garden ein entsetzliches Gebrüll entlockte, indem er den Juden voller Verachtung zurief: "Und denkt dran: wenn Gott auch in die Öfen steckt, dann AUF EWIG!"
Die Fixierung auf Kinder und die strikte Überwachung ihrer Erziehung gehört zu jedem System absoluter Autorität. Es könnte ein Jesuit gewesen sein, der als Erster sagte: "Gib mir das Kind, bis es zehn ist, und ich werde die den Mann geben," doch die Idee ist sehr viel älter als die Schule des Ignatius von Loyola. Wie wir vom Schicksal vieler säkularer Ideologien wissen, geht die Manipulation von Kindern oft nach hinten los, doch dieses Risiko gehen die Vertreter der Religionen offenbar ein, um den durchschnittlichen Jungen oder das durchschnittliche Mädchen mit ausreichend Propaganda zu impfen. Was haben sie auch sonst für eine Chance? Wenn die religiöse Unterweisung erst in einem Alter zugelassen wäre, in dem Kinder selbständig denken können, lebten wir in einer völlig anderen Welt.
Gläubige Eltern sind da geteilter Ansicht, weil sie das Mysterium und die Freude des Weihnachtsfestes und anderer kirchlicher Feiertage natürlich gern gemeinsam mit ihrem Nachwuchs erleben möchten – und nebenbei Gott, den Nikolaus und andere Figuren gut gebrauchen können, um ihre unartigen Kinder im Zaum zu halten. Wenn sich ein Kind oder auch ein junger Erwachsener zu einem anderen Glauben, geschweige denn einem anderen Kult verirrt, behaupten Eltern jedoch gern, die Unschuld ihres Kindes sei ausgenutzt worden. In allen monotheistischen Religionen wurde oder wird aus ebendiesem Grund die Apostasie streng verboten.
In ihrem autobiografischen Buch Eine katholische Kindheit erzählt Mary McCarthy, was für ein Schock es für sie war, als sie von einem Jesuitenprediger erfuhr, dass ihr protestantischer Großvater – der gleichzeitig ihr Vormund und Freund war – zum ewigen Höllenfeuer verdammt sei, weil er die falsche Taufe erhalten hatte. Das intelligente, aber altkluge Kind gab keine Ruhe, bis die Mutter Oberin bei höheren Stellen in der Sache nachforschte. So entdeckte sie schließlich in den Schriften des Bischofs Athanasius ein Hintertürchen. Athanasius vertrat die Ansicht, dass Ketzer nur verdammt seien, wenn sie die wahre Kirche wider besseres Wissen ablehnten – und ihr Großvater konnte ja über die wahre Kirche so wenig wissen, dass er der Hölle vielleicht doch noch entkam. Aber welche Qualen wurden da einem elfjährigen Mädchen auferlegt! Und wie viele weniger hartnäckige Kinder schluckten solche niederträchtigen Lehren, ohne sie zu hinterfragen. Wer Kinder solcherart anlügt, ist in höchstem Maße bösartig.
Kap. 16, 263 ff.) Ist Religion Kindesmisshandlung?
Wenn wir abwägen, ob die Religion mehr geschadet als genützt hat – und das sagt noch gar nichts über Wahrheit oder Authentizität aus – führt uns das zu der schwierigen Frage, wie viele Kinder infolge der Zwangsindoktrinationen durch den Glauben psychisch und physisch irreparable Schäden davongetragen haben. Diese Zahl ist fast so schwer zu ermitteln wie die Zahl der "wahr" gewordenen spirituellen und religiösen Träume und Visionen, die man, um sie auch nur ansatzweise zu bewerten, denen gegenüberstellen müsste, die sich nicht bewahrheitet haben, wobei letztere nicht belegt oder in Vergessenheit geraten sind.
Fest steht dagegen, dass die Religion immer auf den noch ungeformten und schutzlosen Verstand junger Menschen Einfluss zu nehmen versucht und alles Erdenkliche getan hat, um sich dieses Privileg zu sichern, indem sie mit den säkularen Mächten der materiellen Welt Allianzen eingegangen ist.
Ein berühmter literarischer Fall von moralischem Terrorismus findet sich in der Predigt Vater Arnalls in James Joyce' Ein Porträt des Künstlers als junger Mann. Der widerwärtige alte Priester bereitet Stephen Dedalus und seine anderen jungen Schützlinge auf den Festtag zu Ehren des heiligen Franz Xaver SJ vor (der die Inquisition nach Asien brachte und dessen Knochen bis heute von Leuten verehrt werden, die gern Knochen verehren). Vater Arnall verängstigt seine Schüler mit einem langen, genüsslichen Vortrag über die Höllenqualen, wie es in der Kirche üblich war, als sie noch das Selbstbewusstsein dazu hatte. Ich kann hier unmöglich die ganze Tirade zitieren, doch zwei Elemente, in denen es um die Folter und um die Zeit geht, sind von besonderem Interesse.
Es ist nicht zu übersehen, dass der Priester mit seinen Worten darauf abzielt, den Kindern Angst einzujagen. Erstens wählt er kindliche Bilder. Im Abschnitt über Folter lässt der Teufel einen Berg zusammenschmelzen wie Wachs. Er beschwört furchtbare Krankheiten herauf und spielt geschickt mit der Angst der Kinder, dieser Schmerz könnte ewig andauern. Als er das Bild einer Zeiteinheit entwirft, sehen wir ein Kind, das am Strand mit Sandkörnern spielt und dann die Einheiten spielerisch vergrößert:
Seit Jahrhunderten werden erwachsene Männer dafür bezahlt, Kinder auf diese Art zu verschrecken, aber auch dafür, sie zu foltern, zu schlagen und zu vergewaltigen, so wie sie es in Joyce' Erinnerung und der Erinnerung zahlloser anderer Menschen getan haben.Nun stellt euch einen Berg aus diesem Sand vor, eine Million Meilen hoch, die von der Erde bis an die fernsten Himmel reichen, und eine Million Meilen breit, die sich bis in den entlegensten Raum erstrecken, und eine Million Meilen in der Tiefe: Und stellt euch vor, man multipliziere eine solche Masse von Partikeln Sands so oft, als da Blätter im Walde sind, Tropfen Wassers im mächtigen Ozean, Federn an Vögeln, Schuppen an Fischen, Haare an Tieren, Atome in der unermesslichen Weite der Luft ...
Auch die anderen menschgemachten Dummheiten und Grausamkeiten der Gottesgläubigen sind schnell festgemacht. Die Folter ist so alt wie die Garstigkeit der Menschheit, ist der Mensch doch die einzige Spezies mit der nötigen Fantasie sich vorzustellen, wie es sich anfühlt, wenn man jemand anderem etwas antut. Wir können der Religion diesen Impuls nicht vorwerfen, aber wir können sie dafür verurteilen, dass sie die Folter institutionalisiert und perfektioniert hat. Die Mittelaltermuseen Europas von Holland bis in die Toskana sind vollgestopft mit Instrumenten und Geräten, mit denen fromme Männer austesteten, wie lang sie einen Menschen am Leben halten konnten, während er über dem Feuer briet. Wir müssen hier nicht weiter ins Detail gehen, doch es gibt sogar religiöse Bücher, die in diese Kunst einführen und zeigen, wie man mittels Schmerz Ketzerei aufspürt.
Wer nicht das Glück hatte, sich an einem Autodafé zu beteiligen, also einem "Glaubensgericht", wie die Folter auch genannt wurde, durfte sich nach Gutdünken Schauermärchen und Alpträume ausdenken und sie dem unwissenden Volk verbal abreichen, um es in einem Zustand permanenter Angst zu halten. In einer Ära, in der es so gut wie keine öffentlichen Vergnügungen gab, entsprach eine nette öffentliche Verbrennung oder das Verstümmeln und Rädern von Menschen in etwa der Dosis an Zerstreuung, die man dem Volk vonseiten der Kirche zu gestatten wagte. Nichts macht deutlicher, dass die Religion vom Menschen erschaffen wurde, als das kranke Hirn, das sich die Hölle ausdachte, dicht gefolgt von dem arg beschränkten Hirn, dem nichts besseres einfiel, als den Himmel als Ort weltlicher Behaglichkeit oder ewiglicher Langeweile zu beschreiben.
Schon die vorchristlichen Höllen waren sehr unangenehm und vom gleichen sadistischen Einfallsreichtum gezeichnet.
S. 274 ff.)
Nachdem ich in Afghanistan und anderswo Produkten dieses Erziehungssystems begegnet bin, kann ich nur noch einmal betonen: die jungen Leute leiden nicht unter dem Problem, dass sie sich Jungfrauen wünschen, sondern dass sie Jungfrauen sind.
Ihre emotionale und psychische Entwicklung wird im Namen Gottes irreparabel gestutzt und die Sicherheit vieler anderer Menschen als Folge dieser Entfremdung und Deformationen bedroht. Sexuelle Unschuld, die bei jungen Leuten bezaubernd sein kann, sofern sie nicht künstlich verlängert wird, ist bei einem Erwachsenen einfach nur abstoßend und zerstörerisch.
Auch lässt sich gar nicht ermessen, welcher Schaden von schmuddeligen alten Männern und hysterischen Jungfern angerichtet wurde, die sich als geistliche Hüter unschuldiger Kinder in Waisenhäusern und Schulen aufgespielt haben. Insbesondere der römisch-katholischen Kirche kommt hier die überaus schmerzliche Aufgabe zu, den Geldwert eines Kindesmissbrauchs für einen Schadensersatzprozess zu bemessen. Milliarden von Dollar wurden den Opfern bereits zugesprochen, doch wie soll man einen Gegenwert festlegen für die Generationen von Jungen und Mädchen, die von Menschen, denen sie und ihre Eltern vertrauten, auf die abscheulichste Art an die Sexualität herangeführt wurden? Das Wort Kindesmissbrauch ist in Wahrheit ein dümmlicher und erbärmlicher Euphemismus für die wahren Vorgänge: die systematische Vergewaltigung und Folterung von Kindern mit Wissen und Unterstützung einer Hierarchie, die sodann die schlimmsten Täter mittels einer Versetzung in einer anderen Gemeinde in Sicherheit brachte. Angesichts dessen, was in jüngster Zeit in modernen Großstädten ans Licht gekommen ist, schaudert es einen bei dem Gedanken, was wohl in den Jahrhunderten vor sich ging, als die Kirche noch über jede Kritik erhaben war. Aber was hatte man auch anderes erwartet, wenn man die Schwächsten in die Obhut von Menschen gab, die, ihrerseits Außenseiter und nicht selten homosexuell, ein scheinheiliges Zölibat schwören mussten? Und die gelehrt wurden, mit ihrem Glaubensbekenntnis gebetsmühlenartig zu wiederholen, dass Kinder Auswüchse des Satans sind? Die daraus erwachsene Frustration drückte sich bisweilen in exzessiver körperlicher Züchtigung aus, die für sich genommen schon schlimm genug ist. Doch wenn, wie geschehen, die künstliche Selbstbeherrschung zusammenbricht, führt das zu einem Verhalten, das kein masturbierender, hurender Durchschnittssünder auch nur in Betracht ziehen würde, ohne dass es ihn vor sich selbst grauste. Wir haben es hier nicht mit einigen wenigen Delinquenten unter den Schäfern zu tun, sondern mit dem Ergebnis einer Ideologie, die dem Klerus die Macht zu sichern suchte, indem sie sich die Kontrolle über den Sexualinstinkt, ja über die Sexualorgane der Menschen anmaßte.
Kap. 19, S. 331-336)
Der große Lessing drückte sich in seinem polemischen Schlagabtausch mit dem fundamentalistischen Prediger Goeze noch sehr milde aus. Und mit geziemender Bescheidenheit ließ er es so aussehen, als habe er in der Sache auch nur theoretische eine Wahl. Doch dem ist nicht so: wir haben nicht die Möglichkeit, zwischen absoluter Wahrheit und Glauben zu "wählen". Uns bleibt nur, wenn jemand behauptet, die Offenbarung sei wahr, darauf hinzuweisen, dass er sich täuscht und versucht, auch andere zu täuschen – oder einzuschüchtern. Für den Geist ist es freilich in jedem Fall besser und gesünder, den Pfad des Skeptizismus und der Forschung zu "wählen", weil wir nur, wenn wir diese Fähigkeiten ständig einüben, überhaupt etwas erreichen können. Wohingegen Religionen, wie es Simon Blackburn in seiner Studie zu Platons Der Staat so geistreich formulierte, lediglich "fossilierte Philosophen" sind, eine Art Philosophie ohne Fragen. Wenn man Dogma und Glaube dem Zweifel und dem Experiment vorzieht, so ist das nichts anderes, als wenn man die reifenden Weintrauben wegwirft und sich stattdessen auf die süße Billigbrause stürzt.
Thomas von Aquin verfasste einmal eine Schrift über die Dreifaltigkeit und legte sie, weil er sie in aller Bescheidenheit als eines seiner geschliffenen Werke erachtete, auf den Altar von Notre-Dame, auf dass Gott höchstselbst seine Arbeit in Augenschein nehmen und dem Doctor Angelicus seine geschätzte Meinung mitteilen könne. Hier befand sich Thomas von Aquin, nebenbei bemerkt, auf dem gleichen Holzweg wie die Nonnen, die im Kloster beim Bade ein Leintuch vorhängten: sie glaubten, Gottes Blick werde durch dieses bescheidene Hilfsmittel von unverhüllten weiblichen Körper abgelenkt, und vergaßen, dass er doch dank seiner Allwissenheit und Allgegenwart überall jederzeit alles "sehen" konnte und dass er somit gewiss auch durch die Wände und Decken des Nonnenklosters "sah", hinter denen er dann unvermittelt das Leintuch vorfand. Vielleicht sollten die Nonnen ja auch eigentlich davon abgehalten werden, ihren eigenen Körper oder, besser gesagt, den der anderen näher zu betrachten.
Wie dem auch sei: als Thomas von Aquin später feststellte, dass Gott seine Abhandlung tatsächlich wohlwollend zur Kenntnis genommen hatte – eine Auszeichnung, die er als einziger Autor für sich reklamierte – sahen ihn die anderen Mönche und Novizen in der Kathedrale glückselig in der Luft schweben. Dafür gibt es natürlich Augenzeugen.
An einem Frühlingstag im Jahr 2006 begab sich der iranische Präsident Ahmadinedschad in Begleitung seines Kabinetts zu einem Brunnen, der zwischen der Hauptstadt Teheran und der heiligen Stadt Kum liegt. Es soll sich dabei um eine Zisterne handeln, in der sich im Jahr 873 der Zwölfte Imam im Alter von fünf Jahren versteckt hat. Der "Verborgene" Imam ward seither nicht mehr gesehen, wird aber eines Tages mit seiner lang erwarteten und erhofften Wiederkehr die Welt erstaunen und erlösen. Bei seiner Ankunft nahm Ahmadinedschad eine Papierrolle zur Hand und warf sie in den Brunnen, um den Verborgenen Imam hinsichtlich der Fortschritte des Iran in Sachen Atomspaltung und Urananreicherung auf den neuesten Stand zu bringen. Man solle doch annehmen, dass sich der Imam unabhängig von seinem momentanen Aufenthaltsort über solcherlei Entwicklungen informieren könnte, doch irgendwie musste es dieser Brunnen sein, der als eine Art Briefkasten diente. Präsident Ahmadinedschad war, dies sei hinzugefügt, kurz zuvor von den Vereinten Nationen in New York zurückgekehrt. Dort hatte er eine Rede gehalten, die viele Iraner in einer Liveübertragung gesehen hatten und über die im Radio und im Fernsehen ausgiebig berichtet worden war.
Bei seiner Rückkehr in den Iran teilte er seinen Anhängern mit, er sei während seiner gesamten Rede in helles grünes Licht getaucht gewesen – Grün ist die Lieblingsfarbe des Islam – und aufgrund dieses göttlichen Lichtes habe in der Generalversammlung absolute Stille geherrscht. Obwohl es sich um ein sehr persönliches Phänomen handelte – er war offenbar der Einzige gewesen, dem es auffiel – sah der Präsident darin ein weiteres Zeichen für die nahende Rückkehr des Zwölften Imams, ja eine Bestätigung seines ehrgeizigen Zieles, die Islamische Republik Iran, so tief sie auch in Armut, Repression, Stagnation und Korruption abgerutscht war, zu einer Atommacht zu machen. Wie Thomas von Aquin aber ging er davon aus, dass der Zwölfte, der Verborgene Imam, das Dokument nur lesen konnte, wenn er es ihm direkt vorlegte.
Ich habe schon viele schiitische Zeremonien und Prozessionen erlebt und war daher nicht sonderlich überrascht, als ich erfuhr, dass sie in Form und Liturgie dem Katholizismus entlehnt sind. Zwölf Imame, einer von ihnen derzeit im Verborgenen auf seine Wiederkehr oder sein Wiedererwachen wartend. Ein wahnsinniger Märtyrerkult vor allem um den Tod des dritten Imams Hussein, der in der bitteren Schlacht auf der trostlosen Ebene von Kerbela verlassen und verraten ums Leben kam. Prozessionen von Flagellanten, die sich in tiefster Trauer und Schuldbewusstsein darüber ergehen, wie ihr einstiger Führer geopfert und im Stich gelassen wurde. Der masochistische schiitische Feiertag Aschura weist große Ähnlichkeit mit der Semana Santa auf, der "heiligen Woche", in der von Männern in Kapuzenmänteln Kreuze und Fackeln durch Spaniens Straßen getragen werden. Wieder stellt sich heraus, dass die monotheistischen Religionen plagiierte Plagiate unverbürgter Gerüchte sind, die sich zurückbeziehen auf ein paar wenige frei erfundene Pseudoereignisse.
Das bedeutet aber auch, dass während ich diese Worte schreibe, eine Spielart der Inquisition drauf und dran ist, die Atombombe an sich zu reißen. Unter der lähmenden Herrschaft der Religion ist die großartige, erfindungsreiche und hochentwickelte Kultur Persiens völlig aus dem Tritt geraten. Schriftsteller, Künstler und Intellektuelle sind überwiegend im Exil oder werden von der Zensur mundtot gemacht. Frauen sind Eigentum und sexuelle Beute der Männer. Die meisten jungen Leute verfügen nur über eine Halbbildung und sind arbeitslos.
Nach einem Vierteljahrhundert theokratischer Herrschaft exportiert der Iran noch das Gleiche wie zu Beginn dieser Theokratie: Pistazien und Teppiche. Moderne und technischer Fortschritt sind an dem Land vorübergegangen – einzige Ausnahme ist die Atomtechnik.
Damit erreicht die Konfrontation von Glaube und Kultur eine völlig neue Stufe. Bis vor nicht allzu langer Zeit mussten die Länder, die den geistlichen Weg einschlugen, einen hohen Preis dafür bezahlen. Ihre Gesellschaft verkam, die Wirtschaft schrumpfte, die Talente verkümmerten oder verließen das Land, und ständig wurden diese Länder von Gesellschaften ausgestochen, die gelernt hatten, ihren religiösen Impuls zu zähmen und vom Staat zu trennen. Ein Land wie Afghanistan verrottete. Als wäre das nicht schon schlimm genug, wurde von dort die heilige Order ausgegeben, am 11. September 2001 zwei berühmte Errungenschaften der Moderne – den Wolkenkratzer und das Flugzeug – für ein Menschenopfer zu missbrauchen. In der folgenden Phase, die in hysterischen Predigten unzweideutig angekündigt wurde, sollten sich apokalyptische Nihilisten mit Weltuntergangswaffen ausrüsten. Die gläubigen Fanatiker waren nicht imstande gewesen, etwas Nützliches oder Schönes wie einen Wolkenkratzer oder ein Passagierflugzeug zu erschaffen. Doch in Fortsetzung ihrer langen Tradition des Plagiats konnten sie sich ihrer bemächtigen und sie negativ ummünzen.
Dieses Buch handelt von einer der ältesten Auseinandersetzungen der Menschheitsgeschichte.
Fast jede Woche, in der ich daran gearbeitet habe, musste ich meinen Schreibtisch verlassen und in die laufende Debatte eingreifen. Die Auseinandersetzungen wurden zunehmend hässlicher: statt mit einem wortgewandten alten Jesuiten in Georgetown zu diskutieren, musste ich in die dänische Botschaft eilen, um meine Solidarität zu bekunden, während andere Botschaften Dänemarks in Flammen aufgingen, weil in einer Zeitung in Kopenhagen ein paar Karikaturen erschienen waren. Diese jüngste Konfrontation war besonders deprimierend. Als Reaktion darauf, dass islamische Banden die diplomatische Immunität verletzten und Todesdrohungen gegen einfache Bürger ausstießen, verdammten Seine Heiligkeit der Papst und der Erzbischof von Canterbury – die Karikaturen!
In meinem Gewerbe wetteiferten die Kollegen um die schnellste Kapitulation, indem sie über die strittigen Bilder berichteten, ohne sie zu zeigen – und das zu einer Zeit, in der die Massenmedien bereits fast ausschließlich vom Bild beherrscht sind. Euphemistisch wurde getönt, man müsse "Respekt" zeigen, doch ich kenne eine Reihe der betreffenden Chefredakteure und kann mit Bestimmtheit sagen, dass das Hauptmotiv für ihre "Zurückhaltung" schlichtweg Angst war. Anders ausgedrückt: einer Handvoll religiöser Rabauken und Maulhelden gelang es, die Tradition der freien Meinungsäußerung in ihrem Herkunftsgebiet, nämlich den westlichen Ländern, auszuhöhlen. Und das im Jahre 2006! Zum niederen Motiv der Angst kommt der moralisch träge Relativismus hinzu: einer nichtreligiösen Gruppe, die anderen Gewalt androht und antut, hätte man niemals einen so leichten Sieg ermöglicht, und erst recht hätte man ihr keine Entschuldigungen zurechtgelegt – nicht dass die Täter selbst welche geliefert hätten.
In der Zeitung war derweil zu lesen, die größte Studie, die jemals zum Gebet durchgeführt wurde, habe ergeben, dass es keinerlei Korrelation zwischen einem Fürsprachegebet und der Genesung eines Patienten gebe, abgesehen vielleicht davon, dass Patienten, die wissen, dass ein Gebet für sie gesprochen wird, nach einer Operation häufiger unter Komplikationen leiden als diejenigen, die es nicht wissen – was meines Erachtens nichts beweist. An anderer Stelle wurde berichtet, dass engagierte und geduldige Forscher in einem entlegenen Teil der kanadischen Arktis mehrere Skelette eines großen Fisches gefunden haben, der vor 375 Millionen Jahren lebte und Zehen, Proto-Handgelenke, Ellbogen und Schultern aufweist. Dieses Tier, dem die im Nunavut-Territorium lebenden Inuit den Namen Tiktaalik gaben, ist neben dem Archäopteryx, einer Übergangsform zwischen Dinosauriern und Vögeln, eines der lang gesuchten fehlenden Bindeglieder, die uns weitere Aufklärung über unsere Herkunft erlauben. Derweil belagerten Vertreter des "Intelligent Design" wieder einmal eine Schulbehörde und forderten, man möge den Kindern ihren Schund beibringen. Vor meinem inneren Auge entwickelten sich diese konträren Ereignisse zu einer Art Rennen: während Forschung und Vernunft einen winzigen Schritt nach vorn taten, gelang den Kräften der Barbarei ein gewaltiger und bedrohlicher Sprung – diese Leute wissen, dass sie recht haben, und wollen, wie Robert Lowell es in einem anderen Kontext einmal schrieb, eine eiserne Herrschaft der Frömmigkeit errichten.
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