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Viele (religiöse Verbände wie Gläubige) versuchen, den religiösen Weltkonflikten dadurch die Brisanz und Militanz zu nehmen, dass sie vom gemeinsamen Glauben aller monotheistischen Religionen an den gleichen Gott sprechen und die geteilten abrahamitischen Wurzeln der drei großen Weltreligionen betonen.
Gibt es nicht ein universelles "Weltethos", fragt Hans Küng (1990: "Projekt Weltethos"), das sowohl den Weltreligionen als auch individualisierten spirituellen Suchbewegungen zugrunde liegt? Ja, das ist der Fall, lautet seine Antwort. (2007: "Die Globalisierung der Moral") [...]
Wie unterscheidet sich ein solcher, eigentlich naheliegender, religiöser Universalismus von dem Kosmopolitismus des Religiösen? Universalismus heißt: Die religiösen Unterschiede werden eingeebnet, so dass die Gemeinsamkeit zwischen ihnen im kleinsten gemeinsamen moralischen Nenner besteht. Der Kosmopolitismus betont dagegen die Würde und Bürde der Differenz, das unauflösbare In- und Gegeneinander von Universalismus und Partikularismus (Sznaider, Gedächtnisraum Europa). Vom Standpunkt des (europäischen) Universalismus aus ist der eigene der universelle Gott. Der universelle Gott aber ist der Esperanto-Gott, der die Besonderheiten der religiösen Sprachen und Traditionen geringschätzt und zugunsten einer Esperanto-Religiosität aufhebt."Ebenso war Konfuzius der erste, der die goldene Regel der Gegenseitigkeit formulierte: 'Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu.' Diese goldene Regel taucht jedoch auch in der indischen Tradition auf. Im Jainismus wird sie folgendermaßen ausgedrückt: 'Ein Mensch sollte alle Geschöpfe so behandeln, wie er selbst behandelt werden möchte.' Im Buddhismus: 'Ein Zustand, der für mich nicht angenehm oder schön ist, muss so auch für ihn sein. Und wie könnte ich einen Zustand, der für mich nicht angenehm oder schön ist, einem anderen aufbürden?' Im Hinduismus: 'Man sollte sich anderen gegenüber nicht in einer Weise benehmen, die einem selbst unangenehm ist. Das ist der Kern der Moral.'
Diese goldene Regel ist natürlich auch in den abrahamitischen Religionen zu finden.
Rabbi Hillel (60 v. Chr.) sagte: 'Was für dich selbst schädlich ist, das füge deinen Mitmenschen nicht zu.' Jesus drückte dies positiv aus: 'Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch!' Auch der Islam verfügt über ein ähnliches Konzept: 'Keiner von euch glaubt, bis er für seinen Bruder das wünscht, was er sich selbst wünscht.' [...] Diese kulturübergreifenden ethischen Regeln sind struktureller Bestandteil einer gemeinsamen humanen Ethik, egal wie wir sie nennen, und lassen die Vorstellung eines tiefen Gegensatzes zwischen 'asiatischen' und 'westlichen' Werten nahezu irrelevant werden."
Das ist ein Irrweg, da der Universalismus des kleinsten Nenners die Würde der Einzigartigkeit der Weltreligionen missachtet und verletzt.
Der universelle Gott ist überdies der erobernde Gott, der Gott der Kreuzritter. Die anderen – die "Heiden" – müssen in ihrem wohlverstandenen Eigeninteresse "gerettet" und bekehrt werden. Der universalistische Gott – diese bittere Lehre enthält die Geschichte – ist der Gott der Kolonisatoren: "the white men's burden."
Manche sehen angesichts des "Prämissensterbens" der nationalstaatlichen, industriekapitalistischen Ersten Moderne ein alternatives Proletariat heranreifen: den "Regenbogen" oder – wie Hardt und Negri es nennen: die "multitude". Als "Geh-her-da" der Weltrevolution (Bertolt Brecht) fungieren hier der "Durchschnittliche Migrant" und der "Politische Islamismus" im Handel. Wenn es richtig ist, dass sich in der Zweiten Moderne die Grenzen verwischen und mischen, dann verkörpert der "Durchschnittliche Migrant" die sich vermischenden Grenzen zwischen Religionen, Nationen, Staaten. Der "Durchschnittliche Migrant" muss, um zu überleben, ein Artist der Grenze werden (des Unterlaufens der Grenze, des Nutzens der Grenze, des Setzens der Grenze, des Überbrückens der Grenze usw.), und er oder sie kann vom Hochseil des Grenzen-Nutzens abstürzen, auf dem er oder sie balanciert.
[...] All das besagt nicht, dass sie als das gesuchte Subjekt der kosmopolitischen Revolution in Frage kommen. Dagegen spricht nicht nur ihre Vielheit, die die (organisatorische) Einheit verweigert. Vor allem bedeutet es einen kosmopolitischen Fehlschluss, von den Widersprüchen der transnationalen Lage auf ein kosmopolitisches Bewusstsein und Handeln des "Durchschnittlichen Migranten" zu schließen. Das Gegenteil ist nicht weniger, vielleicht sogar eher wahrscheinlich: Reethnisierung und religiöser Fundamentalismus.
Und doch verkörpert der "Durchschnittliche Migrant" das Modell eines experimentellen Kosmopolitismus von unten, eines Kosmopolitismus der Ohnmacht, in dem ein Minimum an Perspektivwechsel, dialogischer Imagination und erfinderischem Umgang mit den in die Grenzregime eingebauten Widersprüchen zur Voraussetzung des Überlebens wird.
Zweifellos signalisiert das weltöffentliche Echo auf die Terrortaten des politischen Islamismus und die darauffolgende tiefe Verunsicherung und Besorgnis des Westens das weltpolitische Bedrohungspotential dieser religiös-politischen Bewegung der modernisierten Anti-Moderne."Der neue Typus eines migrantischen Alltagskosmopoliten entwickelt seine Kompetenzen, mit Fremdheit umzugehen, durch die Grenzerfahrungen der Kulturalisierung und Ethnisierung.
In den Einwanderungsgesellschaften werden Migranten geradezu zwangsläufig Experten für das kulturelle Unterscheidungssystem, das sie zu ethnisch Fremden macht, vor allem auch für seine banalen Erscheinungsweise im Alltag.
Auf der Grundlage dieser Erfahrungen entsteht ein Reservoir an 'Etiketten' für die eigene Gebrauchskultur: z.B. für eine zeitweilige strategische Selbst-Ethnisierung oder für die vielen Formen von 'Ethno-Mimikry', die sich dem Multikulturalismus andienen, um ihn zu überlisten. [...]
Diesem Kosmopolitismus haftet weder die Lust, noch die Last der Differenz an. Kultur und Identität sind hier keine autonomen Horizonte, die es im Sinne einer weltbürgerlichen Fortbildung zu erweitern gilt. Sie sind vielmehr untrennbar verbunden mit einer langen Geschichte hegemonialer Kultur- und Identitätspolitik, die zwangsläufig auch ein Teil der jeweils eigenen, subjektiven Geschichte ist. Und so entwirft dieser Kosmopolitismus auch keine Utopien gleichsam paradiesischer, postnationaler Zustände, sondern allenfalls prekäre Heterotopien, die den Traum vom besseren Leben jenseits der Grenzen ganz praktisch und politisch, im Rahmen des Machbaren, anvisieren." (Regina Römhild 2007: "Migranten als Avantgarde?")
Aber genau das markiert auch deren Grenzen: Sie verspricht zwar den vom westlichen Modernisierungsprozess Niedergewalzten die Wiederherstellung ihrer Würde. Doch sie hat keine Antworten auf die zivilisationsbedingten Zivilisationsprobleme der Weltrisikogesellschaft – es sei denn den Ausstieg aus der Moderne.
Man kann sich gewiss auch katholisch in die Gegenmoderne zurückziehen und mit nicht enden wollenden gegenreformatorischen Eifer unablässig die Grundsätze der Dogmatik blank putzen ("Fegefeuer" usw.), aber dann verfehlt man die Schlüsselfrage, inwieweit das wiederbelebte Christentum die intellektuelle Kraft findet, eine bessere Moderne zu imaginieren, die aus der Mitte reflexiver Modernisierung kommt.
Was müssen die Weltreligionen selbst dazu beitragen, um das weltreligiöse Gewaltpotential, das sich in Europa seit mindestens 500 Jahren in der Realität entlädt, zu zivilisieren?
Religionsgeschichte ist Geschichte von deren Globalisierung seit ihrem Ursprung. Was das Christentum betrifft, so war es Paulus, ein hellenistischer Jude, der mehr als jeder andere die Jesus-Bewegung von einer jüdischen Sekte in eine globale Religionsbewegung mit universalistischem Anspruch verwandelte. "Geht hinaus in die ganze Welt!"
Globalisierung der Religion heißt, in Begriffe gefasst, "Kreuzzüge", "Überwindung von Blutbanden", "Kolonialismus", "Universalismus", "Verteufelung der religiösen Anderen" usw. Diese Globalisierung wird nicht aufgezwungen, sie ist Missionsarbeit. "Die Kirche ist ihrer Natur nach missionarisch," bringt Papst Johannes Paul II. in einer Missions-Enzyklika von 1990 dieses grundlegende Merkmal auf den Punkt.
Globalisierung ist Globalisierungsarbeit, ist Religionsarbeit, ist Arbeit an und gegen religiöse Andere, ist weltweite Arbeit an Grenzen, genauer: äußerst widersprüchliche Grenzarbeit. Religionen sind riesige transnational operierende Mauerabriss- und Mauerbaukonzerne seit Hunderten von Jahren – gegeneinander, miteinander, über ethnische, nationale Grenzen, ja Kontinente hinweg – die mit den Herrschaftssystemen in den Epochen ihrer Dominanz zutiefst verwoben sind. Ketzerisch kann man allerdings gleichzeitig fragen, inwieweit die Uhren der Religionsgeschichte stehen geblieben sind, weil die "Glaubenskonzerne" – zeitlos – wie in einer Endlosschleife die ihnen innewohnenden Konflikte austragen.
Alle Komponenten religiöser Globalisierungsarbeit – die Aufhebung sozialer und politischer Grenzen sowie der Grenzbau zwischen Richtig- und Falschgläubigen – beziehen sich auf den Horizont der Weltgesellschaft.
Man kann weder die Destruktion nationaler noch die Konstruktion religiöser Grenzen nur im nationalen Rahmen denken oder praktizieren. Die religiöse Entkopplung von Gesellschaft und Nationalgesellschaft sprengt die Territorialität und Ethnizität des Gesellschaftsbegriffs und ereignet sich im Bezugsrahmen der "Menschheit".
Aber dann ist da auch das ganz normale, unbekannte Stuttgart. Wer weiß, dass rund ein Drittel, d.h. 200.000 Stuttgarterinnen und Stuttgarter im Ausland geboren sind? Dass über 40 Prozent der Kinder im Vorschulalter aus Einwandererfamilien stammen? Dass bei jeder zweiten Heirat wenigstens ein Partner Ausländer ist?
Dass Menschen aus rund 170 Nationen in der Stadt leben, die über 120 Sprachen sprechen? Und dass dieses in seinem Inneren kosmopolitisierte Stuttgart unter der Regie eines darauf stolzen CDU-Oberbürgermeisters auf vielfältige Weise transnationale Lebensformen über inner- und außereuropäische Grenzen hinweg praktiziert?
Wir alle sind Stuttgart. Aber wir wollen es nicht wahrnehmen. Warum?
Unsere Weltsicht ist essentialistisch bestimmt. Wir denken und handeln in klaren Kategorien von Grenzen und nationaler Staatsbürgerschaft: ein Land, ein Pass, eine nationale Identität – das ist die säkulare Version der Dreiheiligkeit. Aber genau das ist in der kosmopolitischen Konstellation falsch geworden.
Um die Wirklichkeit, in der wir leben, angemessen zu begreifen, benötigen wir einen kosmopolitischen Blick, der ins Zentrum stellt, wie Grenzen aufgehoben und durchlässig geworden sind, verschwimmen und zugleich neu befestigt oder errichtet werden. Wir benötigen einen kosmopolitischen Realismus – der nationale Blick ist rückwärtsgewandter Idealismus, der kosmopolitische Blick realistisch, weil er die Dialektik der Grenzen, die von ihr erzeugten Ängste und Chancen ins Zentrum stellt.
Woher kommt die Militanz der neuen Fraglosigkeit, die sich in der Wiederkehr der Götter zu Wort meldet?"Auf pluralen Religionsmärkten gewinnen die Anbieter mit starker Marke. Aggressives God selling und das Angebot harter, streng bindender Religion sind insgesamt erfolgreicher als die konventionelle Vermarktung von Produkten hoher Mehrdeutigkeit und Unbestimmtheit. Am Beispiel der hochentwickelten Religionsmärkte der beiden Amerikas lässt sich jedenfalls zeigen, dass eine zunehmend größere Zahl von Konsumenten ganz harte Religionsprodukte bevorzugt. In den USA gehören die alten protestantischen main line churches zu den Verlierern. Gewinner sind dezidiert konservative Anbieter der 'religiösen Rechten'. Analoges lässt sich in verschiedenen lateinamerikanischen Gesellschaften beobachten, wo die römisch-katholische Kirche durch Konversion viele Mitglieder an charismatische Gruppen und Sekten verliert. Der große Erfolg solcher Sekten und überhaupt der vielen charismatisch-christlichen Bewegungen lässt sich wohl dadurch erklären, dass harte Religionen den Konsumenten sehr viel bieten: Indem sie hohes religiöses Engagement, dichte Vergemeinschaftung, strikt zu beachtende moralische Normen und erhebliche Finanzmittel fordern, erschließen sie den in ihnen vergemeinschafteten Menschen in pluralistischer Unübersichtlichkeit und verängstigender Unsicherheit eine starke, stabile Identität, krisenresistente Welt- und Zeitdeutung, geordnete Familienstrukturen und dichte Netzwerke der Solidarität. Im Himmel ihres autoritären Vatergottes herrschen die klaren Verhältnisse unumstößlich evidenter Wahrheit, die im Diesseits schon antizipiert werden." (F.W. Graf)
Vom islamischen Fundamentalismus, dem amerikanischen Evangelismus bis zum Hindu-Nationalismus ist die Forderung nach totaler Konformität und absoluter Unterwerfung unter die jeweilige partikular-universale Variante der Gottesoffenbarung plötzlich "populär" (um nicht zu sagen "modern"). Die Zweifel werden gerade vor dem Hintergrund des "eigen" gewordenen Gottes mit dem Anspruch auf totalitäre Gottunmittelbarkeit – im "direkten Draht zu Gott" – unanzweifelbar zum Verstummen und Verschwinden gebracht.
Die religiösen Fundamentalisten gehen den Weg radikal zu Ende, den die Säkularisierung bereitet hat, indem sie die höchste Instanz der "objektiven Welt" in die "subjektive Welt" verlagert hat. Auf diese Weise wurde Gott aus der Natur verdrängt und der Mensch zum Maß aller Dinge erhoben. In der Perspektive wissenschaftlicher Rationalität kann es kein "natürliches Wissen" von Gott geben, und die Theologie als wissenschaftliche Begründungsinstanz des Glaubens muss aus dem Kreis der Wissenschaften ausgeschlossen werden. Religion reduziert sich letztlich auf blinden subjektiven Glauben, der nun von einem (mehr oder weniger reflexiven) Fundamentalismus in einer Umwertung der Werte zur totalitären Gottunmittelbarkeit der eigenen Glaubensgewissheit gewendet werden kann.
Dies ist das widersprüchliche Doppelversprechen der Religionen in der globalisierten Welt: eine Ethik für eine Welt der Fremden anzubieten, die Brücken baut, zugleich aber neue Gräben und Abgründe aufreißt. Es ist der "massenmedial gefühlte" Zusammenhang zwischen neuer Religiosität und barbarischer Gewalt, der zur Wiederkehr der Götter in die Öffentlichkeitsarenen beigetragen hat.
Die massenmedial inszenierte Allpräsenz des religiös motivierten Terrorismus weckt die Erinnerung daran, wie die Geschichte des Kreuzes benutzt wurde, um jahrhundertelang Antisemitismus und Ketzerverfolgung in Gang zu setzen und zu legitimieren.
Auch heute geht die Wiederauferstehung des Glaubens mit einer öffentlichen Warnung des Gesundheitsministeriums einher: Religion kann töten!
In einer offenbar nicht enden wollenden Gegenreformation befasst sich die katho.Ki. bis auf den heutigen Tag – derzeit in Gestalt von Papst Benedikt XVI. – mehr mit der Aufrechterhaltung absolutistischer Wahrheitsansprüche als mit der christlichen Verpflichtung "Selig ist, wer Frieden stiftet!" gegenüber den Mitchristen der anderen Konfession. Der Papst fordert und fördert das christliche Europa. Also schließt er die "islamischen Brüder" aus. Gegen die "Diktatur des Relativismus" kämpfend, verteidigt er die katholische Hierarchie der Wahrheit, die einer Skat-Logik folgt: Glaube sticht Verstand.
Christlicher Glaube sticht alle anderen Glaubensarten (insbesondere den Islam). Römisch-katholischer Glaube ist der Kreuzbube, der alle anderen christlichen Skatbrüder des Glaubens sticht. Und der Papst ist der allerhöchste Trumpf im Wahrheitsskatblatt der katholischen Rechtgläubigkeit.