May 13, 2010

Schneewittchen und die Mutter aller Schamanen


Kultplatzbuch pt 1, pt 2, pt 4, pt 5, pt 6
S. 45 f.)
Die Gleichung ist klar: Koitus gleich Fruchtbarkeit. Die Rote von Mauern als Symbol einer Naturreligion, in der "die mythische Tradition aller Völker weiß, dass der Urmensch, der Archetypus, androgyn war." Beispiele aus der Antike und der Völkerkunde kennt Zotz zur Genüge: von Platos "Gastmahl", den Eleusinischen Mysterien bis zum mythischen Stammvater der Germanen, dem Gott Tuisto (Zwitter), und dem doppelgeschlechtlichen Ahnherrn des nordischen Schöpfungsmythos der Edda, dem Urriesen Ymir.
Analoge Vorstellungen haben sich bei Naturvölkern lange erhalten: Schamanen flechten ihr Haar nach Frauenart in Zöpfe und kleiden sich wie junge Mädchen (vgl. auch die rituelle Kleidung späterer Kulte, etwa der keltischen, jüdischen und christlichen Priester). Die größten Schamanen tragen weibliche Namen, und ursprünglich waren die mächtigsten die mit umgewandeltem Geschlecht. Bei den Dajaks auf Borneo galten die Entscheidungen der "Weibmänner" als Gotteswort, für die Illinois-Indianer waren sie Manitous. [Kitchi-Manitu bezeichnet das höchste spirituelle Wesen, das über sämtlichen übrigen Geistwesen stand. Dies wurde bereits im 17. Jahrhundert von christlichen Missionaren benutzt, um die Vorstellung ihres Gottes zu erklären und weiter zu verbreiten. Mit dieser Erklärung konnten sie bei vielen Stämmen Erfolge verzeichnen. Bereits im 17. Jahrhundert wurde von dem Jesuitenmissionar Jean de Brébeuf das älteste und bis heute verwendete kanadische Weihnachtslied, Jesous Ahatonhia (Jesus, he is born) in huronischer Sprache verfasst und bereits dabei Gott mit dem Ausdruck Gitchi Manitu bezeichnet. Im deutschsprachigen Raum wird insbesondere aufgrund des vielfältigen Gebrauchs in den Romanen Karl Mays unter "Manitu" eine zentrale Gottheit der Indianer Nordamerikas verstanden. Zutreffender wäre der bei May intensiv gebrauchte Bezug auf den christlichen Gott.] Bei arktischen Jägervölkern verheirateten sich die "verweibten Männer" als Frauen, und "in alten Zeiten", so ist überliefert, sollen sie sogar Kinder zur Welt gebracht haben. Wie der Angakok (ein mit übernatürlichen Kräften ausgestatteter Mann) der Eskimosage, den es eines Tages gelüstete, zum Weib zu werden: Nachdem er ein Ren geopfert hatte, heiratete er einen anderen Jäger, nach einiger Zeit bekam der Weibmann ein Kind. Und Legenden der Aleuten, Uiguren, Teleuten, Burjaten berichten, dass der erste Schamane ganz einfach eine Frau gewesen sei, die einen Sohn gebar, von welchem alle Schamanen abstammen ...
Die Statuette von Mauern mit ihrer dicken Schicht roter Erdfarbe passt genau zu diesen Sagen und Mythen. Auch bei den Initiationsriten der Zentralaustralier wurden, wie uns überliefert ist, Jünglinge mit Fett und rotem Ocker bestrichen, um sie in doppelgeschlechtliche Wesen zu verwandeln. Rot steht für das Männliche, das Fett der Farbpaste soll an den gleitenden Charakter der Vulva erinnern.
Unbestreitbar zeigt die zwischen 20.000 und 30.000 Jahre alte Plastik aus Bayern die Verbindung von Kunst und Kult, schöpferischer Darstellung und ältester Religionsauffassung. Alltag und Religion bildeten noch eine Einheit, die Trennung zwischen Heiligem und Profanem geschah erst sehr viel später.

S. 47 f.)
Als – bisher – älteste eindeutige Kunstwerke der Menschheit überhaupt gelten die Funde aus den Lonetalhöhlen und vom Geißenklösterle (Baden-Württemberg). Die Jägerkunst brach "in der altmenschlichen Entwicklung wie ein prachtvoller Frühlingstag an und überstrahlt mit ihrem Glanz hell das ganze übrige Leben," schreibt J. Maringer in seiner "Vorgeschichtlicher Religion". Neben den Frauengestalten steht am Anfang der Kunst/Religion die einmalig schöne Darstellung von Tieren und Tier-Mensch-Figuren: Ausdruck einer einheitlichen Naturauffassung, die noch nicht scharf in Kultur und Natur getrennt war. Unsere Vorfahren wussten vor über 30.000 Jahren noch um die Verbundenheit von Mensch und Tier in einem geschlossenen, unverzichtbaren Gesamtsystem. In unserem Jahrhundert – scheint es – lebt dieses Wissen, Denken, Glauben nur noch in den alten Volksmärchen fort, in denen sich Menschen und Tiere ineinander verwandeln.

S. 55)
"Dem Besitzer wird niemand einen Vorwurf hierüber machen, wir wissen, dass der katholische deutsche Adel von der Wiege bis zum Grabe von einer gewissen Kaste gegängelt wird, und weder die Bücher Moses noch weniger irgendein naturhistorisches Buch in seine Hände kommt."

S. 57)
Auch in den Kulthöhlen des Kyffhäuser waren vorwiegend Jugendliche und Kinder verzehrt worden, und zwar zusammen mit großen Menschen von Tierfleisch. Von Kannibalismus aus Hunger konnte also nicht die Rede sein. Das Menschen- und Tierfleisch wurde in großen Gefäßen aufbewahrt. Auf den Höhlenvorplätzen lagen die von Steinsetzungen umrahmten Feuerstellen, auf denen das Kultmahl zubereitet wurde. Die Brandeinwirkungen an den Knochen, die eindeutige Schnittspuren aufweisen, deuten darauf hin, dass das Fleisch geröstet oder gebraten wurde.

S. 60 ff.)
Die Frage eines vorgeschichtlichen Kannibalismus bewegt die Gemüter deutscher Wissenschaftler schon seit Jahrhunderten.
Von Gottfried Schützens "Beweiß, daß die Deutschen keine Cannibalen gewesen sind" (1773) bis zum Prähistoriker-Kongress von 1871, auf dem es sogar eine Abstimmung über Menschenfresserei gab: Bei drei Enthaltungen stimmten zwei Koryphäen dafür, zwei dagegen.
So verwenden Kunkel und Behm-Blancke auch viele Seiten ihrer Grabungsberichte darauf, Vergleiche zu dem aus der Völkerkunde und der Antike bekannten Kannibalismus zu ziehen: etwa zum Fruchtbarkeitsopfer im Kult der Feuerbohrer auf Neuguinea, bei dem ein junges Paar während der Vereinigung erschlagen und in eine Grube gestürzt wird. Manche Überlieferung lässt "keinen Zweifel daran, dass sie es mit ihrer Sippe als Ehre empfanden, zum Stammesopfer auserwählt zu sein."
Johann Heinrich von Falckenstein vermerkt 1734 über das Jungfrauenopfer im "Königreich Pegu in Indien":

"Die Itinera berichten [...] dass sie als Heyden ihren Abgöttern alle Jahre eine Jungfrau wie ein Schlachtvieh mästen und auf ihr großes Fest erwürgen. Der Götzen-Pfaffe schneidet ihr den Leib mit einem scharpfen Messer, reisset das Herz aus demselben und schmeisset es dem Abgott in das Gesicht, worauf er es zu Pulver verbrennet, die Asche in das Wasser thut und damit den Abgott besprenget. Das übrige Jungfernfleisch fressen nachgehends die Pfaffen mit großem Appetit, wobey die Eltern sich große Freude machen, dass ihre Tochter zu so großen Ehren gelanget."

Selbstverständlich fehlt auch der Hinweis auf altmexikanischen Kannibalismus nicht, der die Gottheit und ihre Verehrer stärken sollte.
Ritualhandlungen geschehen mit dem Ziel, die Willensäußerung einer bestimmten Gottheit zu beeinflussen. Der geopferte Mensch repräsentiert ein höheres Wesen, dessen überirdische Kräfte auf die an den Mahlzeiten Beteiligten übergehen. Das Opfer, das Geschenk, wirkt im magischen Sinn, indem es eine Kraft, eine Macht in Bewegung setzt und dadurch den Beschenkten günstig stimmt. Der einzelne Beteiligte wird im Gemeinschaftsritual des magischen Kraftquells teilhaftig.
Die größere Selbständigkeit, das entwickelte Selbstbewusstsein der ersten bäuerlichen Gemeinschaften der Jungsteinzeit drückte sich auch in ihrer Religion aus. Das Begreifen von Zusammenhängen in der Natur – wie Saat und Ernte – stellte die bedingungslose Abhängigkeit von den Zufällen des Naturgeschehens in Frage. Der Wunsch, die Möglichkeit waren erwacht, selber Einfluss zu nehmen – und sei es über die Götter direkt. Das Ende des bisherigen Gefühls von völligem Ausgeliefertsein, aber auch von Geborgenheit mag als Erinnerung im Mythos des Sündenfalls bewahrt worden sein.

S. 64 f.)
Auch die griechischen Göttinnen Demeter, Persephone-Kore, Gaia, Chthonia und Hekate hatten ihren Sitz in Höhlen und Klüften. [...]
In der klassischen Antike war das Menschenopfer sicher nicht mehr die Regel. Aber noch im Jahre 97 musste der römische Senat Menschenopfer ausdrücklich und wiederholt verbieten. Und noch lange waren Höhlen, Klüfte und Felsspalten dem antiken Menschen heilig, wie die Drachenschlucht im heiligen Bezirk von Delphi, der Erdspalt der Pythia oder die sibyllinischen Grotten, in denen vor allem Todesorakel gesprochen wurden und die als Eingänge in die Unterwelt galten.
Wieweit die geheimnisumwitterten Mysterienkulte auch in unseren Höhlen gefeiert wurden, ob hier die "Heilige Hochzeit" begangen wurde, ob bei den Riten "sexuelle Ausschweifungen" eine Rolle spielten und die Männer, die Kriegergemeinschaften, vor dem Höhlenheiligtum der Göttin Feste feierten, all das können uns die archäologischen Funde unserer vorgeschichtlichen, schriftlosen Zeit nicht verraten. Auch neuere gerichtsmedizinische Gutachten helfen da nicht weiter, die "sinnlose" Handlungen feststellen, die "auf rauschartige, ekstatisch-orgiastische Zustände der Opfernden" deuten. Wobei schon klar ist, dass bestimmte, beim Fäulnisprozess einer Leiche entstehende Giftstoffe wie Muscarin und Muscaridin beim Verspeisen Rauschzustände herbeiführen können.


Schneewittchen und das Männlein im Walde
S. 67)
Nicht nur Schneewittchen erlebte nach dem Genuss eines Apfels den "kleinen Tod". "Apfel" wurden früher Früchte jeglicher Art genannt. In Böhmen und Mähren hießen die Mohnkapseln "Schlafäpfel". Und was die Mutter in dem alten Kinderlied vom Bäumelein schüttelt – "fällt herab ein Träumelein" – während der Vater die Schaf' hütet, wird wohl auch kein Boskop oder Gravensteiner gewesen sein. Auch heute bekommt jedes zwölfte Kind von seinen Eltern Psychopharmaka als Beruhigungsmittel. Schlaf, Kindlein, schlaf ...

Den Menschen der Frühzeit war die Wirkung bewusstseinsverändernder Pflanzen durchaus bekannt, wie der Mediziner Prof. Hanscarl Leuner auf dem Göttinger Opferstätten-Symposium den versammelten Archäologen vortrug. Ausgräber entdeckten in Mexiko "Pilzsteine" aus der Zeit um 1.500 v.Chr. Die aus Stein gehauenen großen Pilze tragen an ihrem Stamm Darstellungen von menschlichen Gesichtern oder Tieren. [...] In manchen Gegenden wurden die Pilze (aztekisch: "Fleisch Gottes") nur von einer Jungfrau gesammelt, bei Neumond und vor Sonnenaufgang.
Die erzeugten Halluzinationen sind ähnlich wie bei dem kleinen Kaktus Peyotl. Seine Wirkung beruht auf Mescalin, das heute synthetisch hergestellt wird. Peyotl galt als die "heilige Medizin" der Eingeborenen, die die europäischen Missionare entsprechend verteufelten.
Nach dem rituellen Sammeln der Pflanze ist sie heute noch Mittelpunkt mancher religiöser Feste. Auf der Kuppe eines Hügels werden rituelle Feuer entzündet, Reinigungs- und Wasserzeremonien, Rösten von Korn, Gesänge und Trommeln begleiten den Peyotlkult. Die Peyotl-Esser bekommen seherische Fähigkeiten. Bei nordamerikanischen Stämmen wurde die Droge nur von Schamanen für ihre Zeremonien, vorwiegend für den Heilzauber verwendet.
Die ersten Weißen, die von dem heiligen Pilz der Azteken aßen, berichteten über "optische Halluzinationen in den brillantesten Farben, über einen ekstatischen Zustand gesteigerter Perzeption, über Verlust der Zeit- und Raumkonstante und über ein Gefühl inneren Friedens, als ob man in eine andere Welt hinübergekommen sei."

In Nord- und Südamerika sind vierzig verschiedene Arten von "magischen Pflanzen" oder "Zauberpflanzen" bekannt, in Europa und Asien etwa ein Dutzend. Ausgrabungen und Überlieferungen deuten immer wieder auf "rauschartige, ekstatisch-orgiastische Zustände" der Opfernden, auf "religiösen Wahnsinn", auf "hemmungslose Raserei", auf "wilde Orgien", wie es in Fundberichten heißt.
Der Fliegenpilz galt schon in mythologischer Zeit als Ekstasemittel. Auch für den Berserkergang der Wikingischen Männerbünde soll der "Flugswamp" (in Skandinavien für Fliegenpilz) verantwortlich sein. Die großen Schamanen Sibiriens benutzen den "Fliegen"pilz zu Halluzinationen, Delirien und Flugerlebnissen. In der griechischen Mythologie sollen Ambrosia und Nektar dazu gedient haben, den Saft des Fliegenpilzes – die "Nahrung der Götter" – hinunterzuspülen. Die Teilnehmer der Eleusinischen Mysterien hatten "nach Einnahme eines Trankes in der Tiefe der Nacht große Visionen", die "neu, erstaunlich und dem rationalen Wissen unzugänglich" waren.
Zusammen mit Bilsenkraut, Tollkirsche, Petersilie, Eisenhut und Stechapfel wurde in den historischen Hexenprozessen auch der Fliegenpilz als Bestandteil der Hexenflugsalbe genannt. In Selbstversuchen haben Ärzte, Chemiker und Volkskundler die halluzinogene Wirkung der "Zaubersalbe" nachgewiesen. Um die Genitalien, an die Innenseiten der Schenkel und in die Achselhöhlen gerieben, vermittelte sie orgiastische Erlebnisse und "das Gefühl zu fliegen".
Die Zutaten, die sich heute per Versandhauskatalog jeder ins Haus schicken lassen kann, erfreuen sich wieder hoher Beliebtheit. So das Rezept zum "Hieronymus-Bosch-Trip" aus einem Haschisch-Kochbuch: "Wirf einige Samenkörner von Bilsenkraut auf glühende Holzkohlen und atme den Rauch nicht zu heftig ein."

Wurzel, Blätter und Samen des Bilsenkrautes bewirken Rausch, Schwindel, Halluzinationen und können in größeren Mengen zu Tobsucht und Wahnsinn führen. In der keltischen, germanischen und slawischen Sprache hat die Staude fast den gleichen Namen. Im alten Babylon und in Ägypten war sie bekannt, Hippokrates nennt sie eine Schlaf und Betäubung hervorrufende Heilpflanze, in einer anderen griechischen Bezeichnung wird sie "Prophetenkraut" genannt. Weissagende und seherische Kräfte werden ihr zugeschrieben. [...]
Als "elementarste Technik der Ekstase" war der Hanfrausch bekannt. Schon Herodot berichtete über den antiken Gebrauch des Haschisch. Heiteren Erregungszuständen folgt erhöhte sexuelle Erregbarkeit, dann ein narkotischer Schlaf mit erotischen Träumen. Die "mystische Trunkenheit" der Hanfekstase muss auch den südrussischen Reiternomaden bekannt gewesen sein, wie entsprechende Grabbeigaben zeigen.

Prof. Herbert Jankuhn bringt die inzwischen wissenschaftlich nachgewiesenen Auswirkungen pflanzlicher Rauschmittel, die unsere Ahnen sehr wohl kannten und bei ihren rituellen Kulthandlungen und Opferzeremonien an heiligen Plätzen benutzt haben mögen, in Verbindung mit dem seit der Jungsteinzeit nachgewiesenen rituellen Kannibalismus unserer Vorfahren. Wobei nicht nur die Opfernden, sondern wohl auch die Opfer selbst voll der Drogen waren, vergleichbar den überlieferten mittelamerikanischen Menschenopferbräuchen. Einen Hinweis darauf sieht er in der 782 von Karl dem Großen nach der gewaltsamen Bekehrung der Sachsen erlassenen "Capitulatio de partibus Saxoniae", in der mit dem Tod bestraft wird, wer "nach heidnischen Vorstellungen Hexenfleisch" isst.
Da klingt es schon freundlicher, wenn Odin, Göttervater und Dichtergott, Gott der Magie, der Runen und der Ekstase, seine Weisheit und seine übernatürlichen Fähigkeiten aus dem Genuss von Met schöpft. Die Art seiner Magie, seine Heilkenntnisse, die Beherrschung der Zauberlieder deuten auf den schamanistischen Ursprung des Gottes. Und er besaß den besten Met, den "Dichtermet", ein mythologischer Rauschtrank aus Honig, Wasser und Gewürzen, dessen Genuss zum Dichter macht.

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