May 15, 2010

Als die Götter ihre Namen wechselten


Kultplatzbuch pt 1, pt 2, pt 3, pt 4, pt 6
S. 109)
Die Tanzfiguren waren den Windungen eines Schneckenhauses vergleichbar. (Die Schnecke gilt als uraltes weibliches Geschlechtssymbol.) Vielleicht trugen auch diese Tänzer Kranichmasken. Denn die Tiermaske beim Tanz war – und ist im Brauchtum – weit verbreitet und gilt als einer der Ursprünge der griechischen Theatermaske. [...]
Mit kleinasiatischen Legionären und Kaufleuten hatten sich orientalische Mysterienkulte auch im Rheinland und an der Saar verbreitet. Vor allem der Kybele- und der Mithraskult mit Astrologie und Zauber/Magie standen in starker Konkurrenz zum aufkommenden Christentum. Kybele, die Natur- und Erdgöttin, Urmutter der Götter und Menschen, Beschützerin des Wachstums, galt in ihrer Heimat auch als die Herrin der Flüsse und heilkräftigen Quellen. Ihr Sohn/Geliebter war der junge Attis, der von einem Ziegenbock (!) gesäugt worden war. Ihr Gefolge lieferte sich der Göttin "in religiösem Wahnsinn" (Plato) aus, huldigte ihr in wilden Orgien mit rauschhaften Tänzen, begleitet von schrillen Rasseln, Klappern, Handpauken, Flöten und Hörnern "als Stimulantien hemmungsloser Raserei". Der Höhepunkt war die Heilige Hochzeit der Gläubigen mit der Göttin.

S. 110)
Einige Inschriften deuten darauf hin, dass die Muttergottheiten ursprünglich in Bäumen angebetet wurden, die in heiligen Hainen standen. Ein Weihestein zeigt einen heiligen Baum mit einer Schlange, ein anderer beschwört den Genius loci. [...] Die Rolle, die Baum und Schlange im Orakelwesen spielen, deuten darauf hin, dass die Matronenheiligtümer auch Orakelstätten waren.
Und was den "bereits in Ziegenform vorhandenen Mutterkult der Kölner Bucht" angeht, so mag der Professor recht haben: Zu Füßen des Baumes, in einer Zeit, in der göttliche Wesen noch nicht in Menschengestalt dargestellt wurden, befindet sich eine "Überziege" mit drei Leibern, aber nur einem Kopf, und betont prallem Euter. [...]
Auch nach der Christianisierung lebte in den "drei Marien" und den "drei Jungfrauen" die volkstümliche Verehrung der mütterlichen Dreiheit weiter. Aber Kultstätten wie im Rheinland, große heilige Bezirke sind ihnen nie wieder errichtet worden.

S. 111)
Männer lebten gefährlich in Deutschlands grauer Vorzeit. Zumindest die mit stark behaarten Oberschenkeln. Deren Haut wurde ihnen nämlich mit Vorliebe abgezogen, um sie zu Gesichtsmasken zu verarbeiten.
Aus dem alten Mexiko kennen wir das ja. Dort trennte man zu Ehren des aztekischen Gottes Xipe Totec, des Erd- und Frühlingsgottes, Gefangenen bei lebendigem Leibe die Haut ab. Die Priester betrieben "das Menschenschinden [...] indem sie sich die blutende Haut des noch zuckenden Opfers selber überzogen."

S. 119 f.)
Das zähe Beharren auf dem alten Brauch der Umzüge veranlasste den Bischof von Lüttich 1246, ein Fest einzuführen, das Papst Urban IV. 1264 zu einem allgemeinen christlichen Fest, dem Fronleichnamsfest, erhob. Prozessionen ziehen segnend durch die Felder und Fluren, um günstiges Wetter und gute Ernten bittend. Zweige, Laub und Blumen schmücken den Weg der Prozession.
Auch die feierliche Schiffsprozession der "Mühlheimer Gottestracht" zu Fronleichnam auf dem Rhein auf einem mit Blumen, Laubgebinden, grünen Zweigen und Fahnen geschmückten Schiff erinnert an die alten heidnischen Umzüge. Unter einem Baldachin trägt der Priester die goldene Monstranz, die das Allerheiligste birgt. Mitglieder der Sebastianus-Schützenbruderschaft – Nachfolger der heidnischen Männerbünde – machen mit ihren Böllerschüssen dabei einen "Heidenlärm".
So übernahm die christliche Kirche in ihrem Fronleichnamsfest den überlieferten Brauch der Schiffsprozessionen und Flurumgänge des alten Vegetationsfestes zu Ehren der Göttin Nehalennia/Nerthus/Isis.

S. 121 f.)
Der heißeste Kampf brennt seit über fünfzig Jahren um die Deutung der Externsteine und das sternkundliche Wissen unserer Vorfahren, seitdem Teudt sein Werk "Germanische Heiligtümer" veröffentlichte.
Begierig griffen die Nationalsozialisten Teudts Verehrung der alten Germanen auf und erhoben 1933 die Externsteine zum deutschen Nationaldenkmal. Der Reichsführer SS Himmler übernahm den Vorsitz der Externstein-Stiftung.
Die Felsgruppe soll an "guten" Tagen bis zu 50.000 Besucher anziehen. Der riesig dimensionierte Parkplatz darf nur stundenweise benutzt werden. Zur Winter- und Sommersonnenwende strömen wieder Pilger von weit her zu ihren Ritualen zusammen.
Durch die braune Vergangenheit belastet, scheint bis heute eine sachliche Diskussion zwischen den glühenden Verfechtern eines christlichen Heiligtums nicht möglich – trotz der hierzu erschienenen 700 Veröffentlichungen.
Auch wenn durch archäologische Ausgrabungen nichts bewiesen ist, die "Heiligkeit" der hochaufragenden Felsen zieht wohl jeden in seinen Bann – und wird es auch bei unserer Vorfahren getan haben. Einzelnstehende schroffe Felsen und Bergkuppen galten von alters her als heilig. Hier fühlte man sich den Himmlischen am nächsten und verehrte sie in seinem Glauben und seinem Kult.

In den Gesetzen der christlichen Bekehrer wurden alle Opferhandlungen an den alten Naturheiligtümer verboten. Die Verehrung heiliger Baume, Haine, Quellen und Steine wurde mit hohen Strafen – z.T. mit der Todesstrafe – geahndet. Karl der Große ließ 782 in Verden an der Aller angeblich an einem einzigen Tag 4.500 "sächsische Edle" enthaupten. (In Wirklichkeit sollen es "nur" 40 gewesen sein.) Im Dritten Reich wurde daraus sogleich eine Erinnerungsstätte gemacht. Für jeden einzelnen Gefallenen wurde im "Sachsenhain" 1935 ein Stein errichtet. 4.500 Findlinge stehen noch heute dort in einer kilometerlangen Allee.
Aber es gibt auch andere Beispiele: Gregor von Tours berichtet von den Goten, dass sie sowohl heidnische Altäre als auch Kirchen verehrten. Der anglische König Redwald hatte ein Heiligtum, in dem sich "ein Altar für Messeopfer und ein Altar für Opfer an die Dämonen" befanden. Und auch Friesenkönig Radbod (679-719) hatte seine eigene Einstellung zum "richtigen" Glauben:

"Auf Zureden des Bischofs Wulfram" willigte er ein, sich taufen zu lassen. "Als er bereits seine Füße in das Taufwasser gesetzt hatte und der Bischof ihm die Freuden des Himmels ausmalte, fragte er, wo seine verstorbenen Vorfahren seien. Als ungetaufte Heiden, so antwortete der Bischof, wären sie nicht im Himmel. Woraufhin Radbod seine Füße aus dem Taufbecken zog und entgegnete, dann wolle er auch nicht in den Himmel, er wolle lieber mit tapferen Helden, wie seine Vorfahren es gewesen seien, nach Walhall kommen als mit Leuten, wie die christlichen Missionare es seien, in den Himmel."

Vom 7. und 8. Jh. an wirkte sich die Missionierung der seit Chlodwig (498) christlichen Franken aus: Glaubensapostel zerstörten Haine und Tempel, errichteten Kreuze und Kirchen auf die Heidnischen Kultstätten oder verdammten die Plätze in den Bereich des Bösen. Namen wie Teufelssteine, Hexenberg oder Heidenfels zeugen noch heute von dem Glauben, "dort geht es um."
Doch es haben sich viele theophore Ortsnamen erhalten, die auf eine alte Heiligkeit der Stätte schließen lassen: Die mit Götternamen zusammengesetzten Bezeichnungen wie Thorsberg, Thiesholz und Tieslund (heiliger Hain des Gottes Tyr) oder Helgoland – bei Adam von Bremen noch Heiliglant – mit seinen alten Fositesheiligtum.
Dazu ein Wort des Grazer Religionsphilosophen Prof. Grabner-Haider: "Es gibt keinen Aberglauben. Es gibt nur Glauben. Wer die Macht hat, erklärt das andere zum Aberglauben."

S. 123)
Am 29. Juni 983 erschien ein mecklenburgisches Heer der verbündeten wendischen Stämme vor Havelberg, ermordete die Besatzung und zerstörte den Bischofssitz. Drei Tage später erreichten die Herrhaufen das Bistum Brandenburg. Bischof Folkmar war bereits geflohen, die Krieger entkamen mit Mühe, die Priester wurden gefangengenommen, der Kirchenschatz geplündert, der drei Jahre zuvor erdrosselte Bischof Dodilo aus seiner Gruft gerissen und geschändet. Der große Slawenaufstand hatte begonnen.
Auch Berlin-Spandau traf der Aufstand der unterworfenen heidnischen Slawen mit voller Wucht. Die erst drei Jahre zuvor über einem heidnischen Heiligtum errichtete christliche Holzkirche wurde zerstört und niedergebrannt, die Reliquien wurden geraubt. Die Spandauer Kirche war eines der frühesten festen Gotteshäuser, denn die von Brandenburg ausgehende Heidenmission bekehrte in ihrer Anfangszeit die Heiden mit Hilfe transportabler Tragaltäre.
Chronist Thietmar, Bischof von Merseburg, hatte geahnt, was im Schreckensjahr 983 auf die christlichen Bekehrer zukommen würde. Hatte doch sein Vater, Graf Siegfried, im Traum Böses vorhergesehen.

"Anstelle Christi und seines Fischers, des hochwürdigen Petrus, wurden fortan verschiedene Kulte teuflischen Aberglaubens gefeiert, und nicht nur Heiden, sondern auch Christen lobten diese traurige Wendung."

Getaufte Slawen kehrten freudig zum alten Glauben zurück. Nach dem "Blutbad von Verden", in dem Karl der Große den Sachsen das Christentum gewaltsam aufzwang, hatten sich auch die im 6./7. Jh. in das Gebiet zwischen Elbe und Oder eingewanderten Slawen zum "rechten Glauben" bekannt. Damit unterwarfen sie sich aber auch einem neuen Steuersystem, das sie vielerorts knechtete und ausplünderte.
Den Erfolg des Aufstand hatte der Zusammenschluss verschiedener slawischer Stämme – der Lutizenbund – ermöglicht. Einheimische Priester hatte die Auflehnung gepredigt.

S. 128)
Die slawische Religion zerbrach – wie es Prof. J. Herrmann von der Akademie der Wissenschaften in der DDR schildert –

"die Götter waren gestürzt und die heiligen Haine verwüstet, verfemt und verrufen. Nicht der christliche Geist hatte sie besiegt, sondern die schärferen Waffen, die bessere Organisation der Kirche und die übermächtigen Kräfte der deutschen, polnischen, dänischen und pommerschen Feudalheere. Die Götter wechselten ihre Namen, an ihre Stelle traten die Heiligen der Kirche. Die ganze Last der Dämonen und Geister, die Enge des Denkens und die Beschränktheit der Weltanschauung wurden den Menschen – den Bauern und Handwerkern – nicht genommen."

S. 129)
Eine Natur, die ihnen allen noch heilig war, von der sie selbst nur ein Teil waren. Teil eines großen Ganzen, einer Einheit von Kosmos, Erde, Mensch und Tier.
Auch der herrliche Dom von Ratzeburg steht auf einem solchen alten Platz, dem

"Tempel der Göttin Siva, die sie vorzüglich verehrten, der Lieblichen, die sich zur Frühlingszeit in einen Kuckuck verwandelte und ihre wahrsagende Stimme durch die endlosen Wälder spielen ließ. Keine Spur ist von ihrem Heiligtum, ihrem Dienst, ihrem Volke geblieben. Aber göttliche Freundlichkeit, mehr als göttliche Strenge und Macht, haben diese Stätte immer umgeben."

So beschreibt Ricarda Huch ihre Empfindungen beim Anblick der alten Opferstätte auf dem höchsten Punkt der Insel im Ratzeburger See.

S. 144) Der Mooropferplatz am Federsee
"Schatzwiese" wird die Parzelle am Federseemoor bei Kappel heute noch genannt. [...]
Das Federseegebiet, seit der Steinzeit besiedelt, erscheint mit seinem versumpften Schilfwald voller seltener Gräser, Pflanzen und Tiere auch heute noch wie eine verwunschene Fabelwelt.

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