Gisela Graichen: Das Kultplatzbuch
Suche nach den Wurzeln – ein Abenteuer in Deutschland
Kultplatzbuch pt 2, pt 3, pt 4, pt 5, pt 6
Wie weiland Rumpelstilzchen sprang ein renommierter bayrischer Wissenschaftler durch sein Studierzimmer, tanzte von einem Bein aufs andere und fuhr mich mit hochrotem Kopf an: "Sie denken doch nicht, dass ich ihnen jetzt meine Plätze sage!" Dabei schwenkte er nach geräuschvollem Wühlen in Stößen von Papier und Stapeln von grauen Kartons einen drei Meter langen Papierstreifen durch die Luft. Handschriftlich hat er hier Deutschlands Opferhöhlen aufgelistet. Wo sie genau liegen, verrät er niemandem, auch nicht den Fachkollegen. Oh wie gut, dass niemand weiß ...
Da wurde mit der Polizei gedroht, für den Fall, dass nun jemand mit diesem Buch in der Hand beim Buddeln an alter Stätte erwischt wird. "Ein Handbuch für Grabräuber" sei das, was ich vorhätte. Und wenn dann jemand in einen Felsspalt stürzt, "wollen die noch eine Entschädigung von Vater Staat." Zu sehen sei an den Plätzen doch sowieso nichts mehr, wollte man mir meine Recherchen ausreden, da sei doch "nur" Natur.
Ein anderer Professor sah die Gefahr, dass "Esoterik-Freaks" dort jetzt "unheimlich was machen". [...]
Und dem Trierer Professor für Vor- und Frühgeschichte, Dr. Wolfgang Binsfeld ("Wer ihn nicht kennt, auf den wirkt Wolfgang Binsfeld wie so eine Art 'Inspector Columbo': Trenchcoat, Zigarette, spezieller Humor. Und tatsächlich verfügt er über einen fast kriminalistischen Spürsinn."), sind "Heiligtümer unter der Erde" am liebsten, denn "dort sind sie am besten aufgehoben."
Schnell werden die wichtigsten Funde gehoben, ins Museumsarchiv gebracht, der Fundplatz mit 30 cm Muttererde wieder zugedeckt und eine Fichtenschonung angepflanzt. Die Reste des alten heiligen Bezirks liegen also wohlbewahrt unter der Erde – nur dem sich damit beschäftigenden Wissenschaftler bekannt.
Vorchristlicher Kult sei nicht zu beweisen, wird argumentiert, alles reine Spekulation. "Schon bei dem Wort Kultstätte stehen mir die Haare zu Berge," meinte ein junger Prähistoriker in Schleswig-Holstein und forderte mich auf, durch das Telefon seine gerunzelte Stirn zu betrachten.
Was nicht zu beweisen ist, gibt es eben nicht. So leugnete auch ein hessischer Archäologe erst einmal, dass überhaupt eindeutig erkannte alte Kultplätze existieren. Bis auf einen, "seinen" Seeopferplatz. Aber nennen will er ihn nicht, er arbeite gerade daran. Außerdem: "Sie locken damit nur die Skinheads an, die dann dort ihr Nationalheiligtum errichten." [...]
Kultplatz – ein Reizwort für etablierte Wissenschaftler? Einer gab zu:
Ein anderer schrieb mir:"Heiligtümer und Kultplätze sind bei den Archäologen eine Ideologiefrage wie bei den Ärzten die Euthanasie."
Und der emeritierte Tübinger Ordinarius für Vor- und Frühgeschichte, Prof. Dr. Wolfgang Kimmig, opferte einen langen Nachmittag, um mir eindringlich klarzumachen, wie gefährlich mein Vorhaben sei:"Ohne meine eigene Faszination leugnen zu wollen, rate ich zu möglichst viel Distanz."
Warnungen bekam ich zur Genüge. "Geradezu todesmutig" sei ich, bescheinigte mir ein Ausgräber in Rheinland-Pfalz, ein solch heikles Thema anzupacken, an das sich keiner heranwage. Am deutlichsten drückte es Dr. Heinz-Josef Engels, Leiter der Bodendenkmalpflege in Speyer, aus:"Das ist ein heißes Eisen. Ich habe immer die Finger davon gelassen, obwohl mich Religion und Kult brennend interessieren. Ich kann Sie nur warnen!"
Solcherart ermutigt, machte ich mich auf den Weg."Sie kommen mir vor wie jemand, der in einem Zimmer tanzt, einem ganz normal großen Raum, in dem 3.000 Fettnäpfchen stehen. Die Chance ist gleich Null, nicht in etliche hineinzutreten!"
Fast zwei Jahre wühlte ich in alten Ausgrabungsarchiven – von Berlin bis Bayern. Denn ein Sacharchiv "Heiligtümer" oder "Opferplätze" gibt es in den Abteilungen Bodendenkmalpflege der einzelnen Länder nicht, erst recht nicht für die ganze Bundesrepublik. [...]
Aber warum sind diese Orte, an denen unsere Altvorderen ihren Kult, ihre Religion ausübten, für die heutigen Wissenschaftler ein solches Reizthema?
Da ist einmal das romantische 19. Jh. Alles, was nicht zu erklären war, galt eben als "kultisch". Dann kam das Dritte Reich mit seiner Stiftung Deutsches Ahnenerbe, Schirmherr Reichsführer SS Himmler (der auch das umfassendste Archiv der historischen Hexenverfolgung anlegen ließ.) Jeder römische Steinbruch wurde damals zu einem germanischen Heiligtum, jede Wandkritzelei eine Rune, Kultstätten sprossen nur so aus dem Boden, und heilige Ortungslinien umspannten deutsche Gaue, von – angeblich – germanischem Kultplatz zu Kultplatz. Teudts "Germanische Heiligtümer" wurde das Standardwerk. Zeitweilig erwogen die Herren, etliche Kirchen abzureißen, da diese auf alten Kultstätten erbaut seien, die es auszugraben gelte. [...]
Erst langsam legte sich die "überspitzte Angst vor allem Kultischen". [...]
Doch da nahte in den letzten Jahren der nächste Schrecken. Das blanke Entsetzen ist manchen Herren ins Gesicht geschrieben, wenn sie darüber berichten: die Esoterik-Szene, die Spirituellen, die New-Age-Anhänger auf der Suche nach der "mythologisch verschwommenen" alten Religion, nach den "uralten Orten der Kraft". [...]
"Connexions New Age", das Branchenbuch der spirituellen Szene, fördert das deutschsprachige Netzwerk des Neuen Zeitalters. 2.000 Adressen sind hier aufgelistet: von "Rapunzel-Nussmusherstellung", "Institut für schamanistische Studien", "Freunde der Erde AG", "Deutscher Druiden-Orden" in Berlin und der österreichischen "Schule der Druiden e.V. zur Förderung und Bewahrung druidischen Wissens", vom Zentrum für Vollmondnächte bis zu "Mutter Erde e.V.", der sich wörtlich vorgenommen hat: "Über den Weg des Herzens versuchen wir eine Brücke zu schlagen zwischen Wissenschaft und Religion, Kultur und Natur, Ost und West." Vom Ratzeburger Domkloster und "au-pair im Benediktiner-Kloster" der Neresheim-Abtei bis zu Gruppierungen, die eindeutig dem neuen Satanskult zuzuordnen sind.
S. 18)
Beim Spekulieren mit Blutriten ist schnell die Grenze zur "neuen Jugenddroge" erreicht, dem Satanskult mit schwarzen Messen, Teufelsanbetung und Sexualmagie – bis hin zum geplanten Opfertod von Menschen. 200.000 Jugendliche sollen in Deutschland bereits an schwarzen Messen teilnehmen, wie die Jugendschutzkonferenz in Herne im Sommer 1988 feststellte. Die Kriminalpolizei ermittelt in diesem Zusammenhang bei einigen "Ritualmorden".
Scotland Yard hält es für möglich, dass etliche Vermisste in England auf das Konto des dortigen Teufelskults gehen – geschätzte Zahl der Mitglieder: 100.000 – nachdem die rituelle Tötung eines 13jährigen Mädchens bekannt wurde. Die Schülerin, die nur mit einer Vogelmaske und einem Umhang bekleidet war, wurde "um Mitternacht auf einem Friedhof mit einem Opferdolch" erstochen.
S. 19 f.)
Der Münchner Theaterregisseur Bonger Voges nimmt "trotz und wegen deren Vereinnahmung durch das Dritte Reich" (Deutschlands Zeitschrift für Zeitgeist "Wiener") "auf der Suche nach Neuer Deutscher Identität" keine Rücksicht "auf das herrschende Denkverbot" und inszeniert germanische Mythen:
In den USA bekommen die Anhänger der heidnischen Wicca-Religionen in einigen Teilen des Landes – etwa Kalifornien – offiziell von ihrem Arbeitgeber als religiösen Feiertag frei. Und in einem europäischen Land ist eine Religion vorchristlicher Gottheiten bereits wieder zu amtlichen Ehren gekommen: Im Mai 1973 wurde in Island der Asatru, der Glaube an die Asen, die alten nordischen Götter, offiziell als gleichberechtigte Religion neben der protestantischen Staatskirche anerkannt. Der 64jährige Sveinbjörn Beinteinsson ist Hohepriester des Odinismus, wie der Glaube in Deutschland genannt wird. Wie der Pfarrer in der Kirche nebenan kann er ohne Standesamt rechtgültige Trauungen und Scheidungen vollziehen. [...] "Das einfache Volk hat immer an die Natur geglaubt." [...]"Ich möchte die Auseinandersetzung mit unseren Wurzeln provozieren und mit unserer Mythologie so wertfrei umgehen, wie dies andere Völker dürfen und machen."
Als besondere Aufgabe ihrer Religion wollen sie die Verbindung des Menschen zur Natur wieder herstellen, damit der Mensch sich wieder bewusst als Teil der Naturkräfte und ihres Kreislaufs empfindet.
Auch in der Bundesrepublik wird heute offen gegen "die fremde Lehre aus dem Süden mit ihrer Unterwürfigkeit und ihren Sündengerede" gewettert. [...]
Und noch eine Neuerscheinung tauchte 1988 auf dem deutschen Markt auf: "Der Hain, Zeitschrift für Heidentum und Naturreligion." In der ersten Ausgabe wird der Name erklärt: "Ein 'Hain' war in alten Zeiten ein heiliger Wald, ein Platz, wo man die Naturkräfte besonders spüren konnte, wo man mit den Göttern in Verbindung trat, ein Ort der Kraft und der Heilung."
S. 21)
Eine FORSA-Umfrage vom Herbst 1986 zeigte, dass sich jeder vierte in Deutschland für Naturreligionen interessiert und mehr darüber erfahren möchte. Und 35 % der Befragten glaubt, dass sich in Zukunft "noch mehr Menschen dieser nach christlicher Auffassung heidnischen Religion zuwenden" werden, weil sie meinen, unser Verhältnis zur Natur müsse sich ändern. (Vor allem Jüngere, Frauen und Befragte mit Hochschulausbildung, von denen jeder zweite daran glaubt.) [...]
Warum wird das Aufsuchen der heimischen Naturheiligtümer als "(über-)lebensnotwendig" angesehen? Warum ziehen sich Menschen zur Besinnung dorthin zurück wie einst ihre Großeltern in die Kirche? Und warum werden die "Kraftplätze" gleichzeitig als "gefährliche Droge" beschrieben?
S. 22 ff.)
Vor allem zur Vogelherdhöhle wollte ich. Die ältesten bekannten Kunstwerke der Welt sind hier entdeckt worden, vor 30.000 Jahren von einem Künstler/Schamanen angefertigt: Kunst als sichtbarer Ausdruck von Religion. Und eine Freundin aus der "Szene" wollte mich zu den Orten führen, an denen sie mit Frauen der Umgebung die Jahreskreisfeste feiert, wo sie ihre Rituale mit Trommeln, Flöten und Tanz begehen.
Aber schon bei "meinem" ersten Platz, der "Hexenküche" im Kaufertsberg, ließ sich die gereizte Stimmung nicht mehr übersehen. Kultischer Kannibalismus der Jungsteinzeit wird aufgrund der Funde – Scherben, Asche, angesengte Menschenknochen, die durch einen Schacht von oben ins Innere der Höhle geworfen worden waren – in dieser alten Opferhöhle vermutet. Meine Begleiterin reagierte unwirsch, böse. Ich merkte, wie sich da irgendetwas in ihr sträubte. Sie wehrt sich gegen den Begriff Kannibalismus, der bei uns heute Ekel, Erschrecken, Abwehr hervorruft, Gefühle und Vorstellungen, die wir auf den Platz übertragen:
"Da werden von unserer heutigen christlichen Sozialisation aus negative, grausame, angstbesetzte Bilder abgerufen, die dem ursprünglichen Hintergrund nicht gerecht werden. Noch heute gibt es südamerikanische Indianer, die zur Ahnenverehrung die Knochen von Toten mit Bananenmus kochen und essen. Und diese Art der Totenverehrung wird von den Ethnologen als Kannibalismus bezeichnet."
Eine ähnliche Umkehr hat der Begriff des Opfers erlebt. Heute negativ im Sinn von Verzicht verwendet, "war es ursprünglich die freudige, natürliche Hingabe eines Teils der Fülle, die dem Menschen geschenkt wurde. Wer wie unsere Ahnen zyklisch lebt, weiß, dass man nicht nehmen kann, ohne zu geben. Auch beim Aufsuchen heiliger Orte gehört der Austausch zum immer sich wiederholenden Energiekreislauf."
Heilige Plätze verstärken Fähigkeiten, entwickeln die eigenen Sensibilitäten, aber jeder Platz wirkt anders, äußert seine Kraft unterschiedlich.
Können Plätze heilen, mich heil machen, wollte ich wissen. "Nein, Plätze können nicht heilen, aber sie können dich anregen, dass du dich heil machst, dir helfen, deine Heilkräfte zu verstärken.""Du spürst die Verdichtung von Erdenergie an diesen Plätzen, aber auch die Energie von Menschen, die da ihre Fest gefeiert, Lieder gesungen und ihre kultischen Feuer entzündet haben. So etwas bewahrt sich, genau wie in einem Haus, in dem vor 500 Jahren jemand umgebracht worden ist."
Die Vogelherdhöhle im Lonetal ist für sie ein solcher "starker" Platz. [...] Aber immer wieder geschahen die Niederlegungen in denselben Höhlen, an denselben Stellen. Und genau diese beiden Höhlen – und nicht die fünf anderen – werden von Frauen der Umgebung heute als ihre heiligen Stätten angesehen.
Wie manche Wissenschaftler – wenn auch aus einem anderen Grund – sorgen auch sie sich, dass die bisher geheimen, behüteten Plätze von Menschen begangen werden:
Schon dreimal hat sie erlebt, dass Frauen während eines Workshops beim Aufsuchen der alten Plätze einen schizophrenen Schub bekamen."Es kann gefährlich werden für Leute, die einfach nur neugierig sind, aber keinen Austausch mit der Erde vollziehen. Gefährlich wird es dann, wenn du in diesem Zwischenstadium von Halbwissen über deine Kräfte gehst. Weil du dann von dieser Energie schon etwas wahrnimmst, aber sie nicht orten, nicht damit umgehen kannst. Also wenn jetzt jemand mit deinem Buch in der Hand von einem Platz zum anderen läuft – und es ist schon mehr als touristische Neugier – dann kann ich nur sagen: Vorsicht, das treibt. Da kommst du in einen Rausch."
Jeder reagiert auf jeden Platz anders. Aber Spannung, Prickeln, Ehrfurcht stellt sie bei allen fest, auch wenn ihnen vorher bewusst nichts über den Platz gesagt worden ist und das Ganze als "Ausflug" deklariert wurde."Plätze können sehr wohl aufputschende Drogen sein. Sie rufen hervor, was latent in mir war, was mir nicht bewusst war. Genau wie Drogen kann ich nicht einen Platz nach dem anderen inhalieren."
"Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass alle Menschen ohne Ausnahme diese Plätze, ihren ganz alten Zauber spüren. Die Frage ist nur, ob sie es sich eingestehen, weil die meisten Menschen das, was sie nicht logisch erklären können, erst einmal beiseite schieben."
0 comments:
Post a Comment