May 14, 2010

Je stärker der Platz, umso höher die Kirche


Kultplatzbuch pt 1, pt 2, pt 3, pt 5, pt 6
S. 72 f.)
Die erste Weltreligion "im Schatten einer großen Mutter- und Totengöttin" war mit ungestümer Kraft über die alteuropäischen Völker hereingebrochen, die noch im steinzeitlichen Bann der Jagd- und Fruchtbarkeitszauber standen. In der Megalithkultur war der Stein Ausdruck des Ewigen, Göttlichen, der Träger überirdischer Kräfte. Im Alten Testament steht Jahwe im ständigen Kampf gegen die archaische Steinanbetung. Moses erhielt den Befehl, die Kultsteine in Kanaan zu zerstören, und es heißt:

"Ihr sollt euch keine Götzen machen noch Bilder aufrichten, noch einen heiligen Stein (masseba), und ihr sollt in eurem Lande keine Malstein (maskit) setzen, vor dem ihr euch demütigt."

Doch die allerhöchsten Befehle nützten wenig. Die Menhirverehrung hat die Zeit des megalithischen Grab- und Tempelbaus weit überlebt. Der über 4.000 Jahre alte unvergleichliche Rundbau von Stonehenge ist noch 2.000 Jahre später von den Kelten als Kultstätte begangen worden. Wer das Heiligtum schließlich gewaltsam zerstörte, wissen wir nicht. Die Römer in ihrem unerbittlichen Kampf gegen die keltischen Druiden oder erst im Mittelalter die Christen, um heidnische Zusammenkünfte an der alten Stätte zu verhindern.

S. 74)
Die mit Kraft aufgeladenen Steine gilt es zu berühren, und zwar möglichst intensiv und unmittelbar, damit der Kontaktzauber wirkt: Mann und Frau reiben ihre Geschlechtsteile am Stein, um Kinder zu bekommen, Frauen Leib und Brüste, um schwanger zu werden, junge Mädchen rutschen den "heißen" Stein hinunter, um die Liebe eines Mannes zu gewinnen. Möglichst siebenmal und mit entblößtem Unterleib. Noch im 19. Jh. glitten schwangere Athenerinnen einen Felsen beim Aeropag hinab, indem sie Diana anriefen.
Die Menhire werden mit Öl gesalbt, Kerzen oder Fackeln aufgestellt. Rituelle Umzüge und Tänze verstärken die fruchtbarmachende Wirkung. Der volkstümliche Glaube an die Kraft und die Potenz der "phallischen" Steine wird besonders deutlich, wenn die jungen Burschen beim Steintanz ihren Penis in der Hand halten.

S. 76)
So musste die christliche Kirche wohl nicht ohne Grund noch im 11. Jh. den Gläubigen ausdrücklich und wiederholt die Anlage umfriedeter heiliger Stätten um einen Stein, Baum oder Quell und das Opfern an Steinen verbieten. Nachdem sämtliche Erlasse nichts halfen, hat einige Apostel die heilige Wut gepackt. Der friesische Missionar Willibrord soll höchstpersönlich den oberen Teil des dreieinhalb Meter hohen Menhirs Fraubillenkreuz in Rheinland-Pfalz in ein Kreuz umgeformt haben. Andere Monolithe wurden christianisiert, indem Heiligennischen eingeschlagen wurden, wie am Gollenstein im Saarland. Die heidnische Prozession wurde so zur christlichen Wallfahrt.

S. 86 f.)
Als Träger der Idee sah Drexel das mächtige keltische Druidentum mit seiner geschlossenen Organisation, dessen Zentralsitz sich im Gebiet um Chartres befand.

S. 88)
Die Versenkung von Opfergaben in den Schächten der "Viereckschanzen" galt – wie in dem Felsspalten- und Schachthöhlenkult – unterirdischen Gottheiten, wohl in Verbindung mit einem Grubenorakel wie in Delphi. Der empfangende, Leben gebende und Leben nehmende Schoß der Mutter Erde: frühes Symbol für die bei den Kelten so verehrten weiblichen Gottheiten, die auf die uralte Vorstellung der Magna Mater, der großen Mutter, zurückgehen.

S. 89 f.)
Da die Kelten, obwohl sie die Schrift durchaus kannten, keine Aufzeichnungen in religiösen Dingen hinterließen, sind wir auf die Überlieferungen antiker Autoren angewiesen.
Caesar berichtet über die gallischen Priester:

"Die Druiden stehen an der Spitze des gesamten Gottesdienstes, sie besorgen die öffentlichen und privaten Opfer, sie sind die Lehrer und Vertreter der Religion. Bei ihnen sucht die Jugend des Landes ihre Ausbildung, und sie stehen bei den Galliern in hohen Ehren ...
Die Druiden nehmen nicht am Krieg teil und zahlen auch keine Steuern ... Sie müssen aber fast alles auswendig lernen, und deshalb bleiben manche von ihnen 20 Jahre in der Lehre. Es ist ihnen nämlich streng verboten, irgend etwas niederzuschreiben, denn die Druiden wollen nicht, dass ihre Lehre unter das Volk kommt ... Außerdem beschäftigen sie sich mit den Gestirnen, der Größe der Welt und der Natur und besonders mit der Macht der unsterblichen Götter."

Plinius der Ältere schreibt:

"Die Druiden halten nichts heiliger als die Mistel und den Baum, auf dem sie wächst, sofern es eine Eiche ist. Aber auch so pflegen sie die Eichenhaine und vollziehen kein Opfer ohne den Laubschmuck dieser Bäume, so dass sie ihren Namen Druiden von den Eichbäumen (griech. drys) erhalten zu haben scheinen." [...]

Unentwegt sind christliche Missionare im Mittelalter mit der Axt unterwegs, um heilige Bäume zu fällen. Von Paulinus wissen wir, dass die Heiden die Zerstörung ihrer Tempel hinnahmen, aber sich wild sträubten, als der hl. Martin ihren kultisch verehrten Baum umschlagen wollte.
Die "eichenkundigen" Druiden, von Aristoteles Erfinder der Philosophie genannt, wurden gerühmt wegen ihrer seherischen Fähigkeiten, ihrer Lehre von der Seelenwanderung und den Vorzeichen, ihrer Kenntnisse von Astronomie, Natur und Medizin.

S. 91)
Die Druiden bewahrten die ehrwürdige Tradition. Als Priester vermittelten sie ihre Kosmogonie, die Lehre von der Entstehung und der Ordnung der Welt und der Natur. Sie beherrschten die Sternkunde und schufen einen Kalender, wie er in Coligny gefunden worden ist: Auf einer bronzenen Tafel sind die Mondmonate mit ihren dunklen und hellen Mondhälften und die Festtage im Jahreslauf genau aufzeichnet. Ihr Einfluss und ihre – auch politische – Macht, ihr "heiliges Wissen", waren offensichtlich bedeutend größer, als moderne Autoren es gelten lassen wollen, die sie zu einfachen Schamanen und Zauberern reduzieren möchten.
Durch ihre weibliche Tracht, die langen weißen Gewänder und die hinten lang herabfallenden Haare gaben sie sich "als Zwitterwesen zu erkennen". Doch auch von Priesterinnen, von weiblichen Druiden, ist die Rede. Noch am römischen Kaiserhof gab es gallische Seherinnen, als die Druiden, wegen ihres Einflusses von den Kaisern mit Hass verfolgt – denn sie waren die Klammer, die die keltischen Stämme zusammenhielt – längst im verborgenen als Wahrsager und Wunderärzte lebten.
Wie sahen die religiösen Zeremonien aus, die der Priester nach Jahrhunderte langer mündlicher Überlieferung, nach 20 Jahren Lehre, Zucht und Versenkung, leitete, wenn er die höchste Stufe, "ollam", erreicht hatte? Er besaß die Macht, einzelne und ganze Stämme von den Opfern auszuschließen, die härteste Strafe in Gallien. Wer so unter den Bann geraten war, galt als Gottloser und Verbrecher, dem jedermann aus dem Weg ging, um nicht durch die Berührung mit ihm selbst zu Schaden zu kommen.

S. 93 f.)
Auch an anderer Stelle sind Menschenopfer bezeugt: Für Teutates wurden die Opfer erstickt. Ihr Kopf wurde so lange in ein Fass gehalten, bis sie ertranken. Diodor berichtet, wie die Priesterinnen aus den Zuckungen von Menschen wahrsagten:

"Vor allem, wenn man sie einer bedeutungsvollen Sache wegen befragt, wenden sie einen ganz ungewöhnlichen, kaum glaubhaften Ritus an: Sie weihen einen Menschen und stoßen ihm ein Schwert in die Herzgrube über dem Zwerchfell. Und wenn der so Getroffene stürzt, dann erkennen sie aus der Art des Hinfallens, aus dem Zucken der Glieder und schließlich aus dem Fließen des Blutes die Zukunft."

Nach den strengen Maßnahmen der römischen Kaiser Tiberius und Claudius gegen die Druiden – die sich angeblich gegen deren grausame Menschenopfer richteten – wurden die Menschen- in Tieropfer umgewandelt.
Bei der Königswahl wurde unter Aufsicht der Druiden ein weißer Stier geopfert. Noch aus dem 12. Jh. wird von den Inselkelten ein archaischer Ritus der Ulsterkönige übermittelt. Vor der Thronbesteigung musste der König in aller Öffentlichkeit eine Stute befruchten. Dann wurde das Tier geschlachtet, die Stücke wurden in Wasser gekocht. Der König aß das Fleisch mit den Versammelten, badete in dem Wasser und trank die Brühe als Bestätigung seiner Herkunft.
Die esoterische Geheimlehre der Kaste der keltischen Priester(innen), die sie in kultischen Ritualen an geheiligten Stätten wie den "Viereckschanzen" ausübten, gab ihnen Macht und Verehrung bei ihren Stämmen, erzeugte Ansehen, Furcht und Hass bei den römischen Eroberern – und zieht heute wieder Scharen von Menschen in ihren Bann. Die "scheinbare Zwiespältigkeit des Druidentums" mit ihrer Achtung vor der Natur und den gleichzeitigen, uns heute so grausam erscheinenden blutigen Opfern hat "die Forschung seit der Renaissance verunsichert". Denn, wie Prof. Kimmig es ausdrückt,

"man begriff nicht, dass in der keltischen Religiosität sowohl das Humane wie auch das Entsetzensvolle seinen naturgegebenen Platz fand. Es geht eben nicht an, die Denk- und Gefühlswelt fremder, zumal antiker Völker mit heutigen Maßstäben zu messen."

S. 96)
Der Quellgott Fons war einer der ältesten einheimischen Götter des römischen Staates. Sein jährlich am 13. Oktober begangenes Fest galt allen Quellen und Brunnen, auch den ländlichen Quellkulten der – weiblichen – Naturgottheiten.

S. 99 f.)
In den Konzilien des 5. und 6. Jh.s wurde jede religiöse Handlung bei Wassern, Bäumen und Felsen unter Strafe gestellt. Im Trierer Land wird noch im 9. Jh. in einer Sendpredigt nach Leuten gefragt, die "Hilfe woanders suchen als beim allmächtigen Gott, etwa bei Quellen." Und aus dem 11. Jh. ist eine Beichtfrage überliefert, ob man an Quellen gebetet, Kerzen entzündet oder Brot geopfert habe.
Gar mancher "Heidenapostel" ließ an altheiligen Quellen sein Leben. So zog man es vielerorts vor, den beharrlichen Kult in christliche Bahnen zu lenken und baute eine Kapelle neben die Quelle oder direkt darüber. Papst Gregor der Große schrieb um 600 an den Abt Mellitus von Canterbury, man solle die heidnischen Tempel nicht zerstören, sondern in Kirchen umwandeln:

"Es sollen nur die Götzenbilder, die darin sind, vernichtet werden, dann sollen die Tempel mit Weihrauch besprengt, Altäre gebaut und Reliquien darin niedergelegt werden." Damit das Volk "zu den Orten, woran es gewohnt ist, umso vertrauter sich versammle und den wahren Gott erkenne und anbete."

Je "stärker" der Platz, umso höher die Kirche: Der Dom zu Paderborn soll auf 80 Quellen ruhen, die Kathedrale von Chartres auf 44, und der Kölner Dom steht auf einer einzigartigen Sammlung von vorchristlichen Kulten: einer Weihestätte an einheimisch keltische Muttergöttinnen, einem Tempel für römische Gottheiten (mit einem Brunnen an der Tempelwand) und einem Mithrasheiligtum. Zum Komplex des 870 geweihten Alten Doms gehörte noch ein großes Atrium, in dessen Mitte ein Brunnen lag. [...]
So entstand eines der herrlichsten und mächtigsten Gotteshäuser der Christenheit durch die Umwandlung eines heidnischen Kults in den Marienkult.

S. 103)
Ähnliche Funde beobachtete Geschwendt auch bei Bestattungen in der Nähe von heiligen/heilenden Quellen. Der Beruf der Verstorbenen ist ihm klar: Heilkundige, Zauberinnen, Priester. Auch die aufgefundenen "Kulttrommeln" sieht er als "Ausrüstung eines Zauberers, Regenmachers, Medizinmannes oder Schamanen." Dabei müssen diese über ein hohes medizinisches Wissen verfügt haben, wie bereits in der Jungsteinzeit vorgenommene schwere Schädeloperationen zeigen: von Grabfunden in der Nähe von heiligen Quellen belegt. "Als sich die Berufe des Priesters und des Arztes trennten, verblieb trotz dessen den Heilquellen der Ruf der Heiligkeit und der medizinischen Eigenschaften."

0 comments: