May 16, 2010

Behm-Blancke, der Heiligtümerpapst


Kultplatzbuch pt 1, pt 2, pt 3, pt 4, pt 5

S. 156 f.) Der Heiligenberg bei Heidelberg
Auch auf dem schon in der Steinzeit besiedelten und von ausgedehnten vorgeschichtlichen Befestigungen umgebenen Heiligenberg befand sich ein Bergheiligtum. Kelten, Germanen, Römer und Christen verehrten in einer ununterbrochenen kultischen Tradition hier ihre Gottheiten. (Im Dritten Reich wurde der Heiligenberg zur "germanischen Feierstätte". Der mächtige Thingplatz ist noch gut erhalten!)
Auch die dem St. Michael geweihte Basilika-Ruine auf dem Gipfel ist Hinweis auf einen vorchristlichen Bergkult: Michaelskapellen wurden oft am Orte heidnischer Kultstätten errichtet. Hier ist die Ablösung des Merkurkultes durch den christlichen Michaelskult archäologisch belegt: Unter der Basilika liegt ein gallorömischer Tempel. Auch die "collosalische" Statue Dianas ist überliefert. In den Sagen über Hexenumzüge, die sich um den Berg weben, entdeckt man die Reste heidnischer Kulturumzüge.

S. 159 f.)
"Ein alter Zauber" liegt auf dem Knillwäldchen bei Sontheim. Als "Heiliger Hain" wird er bezeichnet, als alte Orakelstätte – auch ohne archäologische Beweise. Tatsächlich umfängt die Menschen, wenn sie zwischen den beiden hohen Bäumen hineingehen, eine Art heiliger, ehrfürchtiger Atmosphäre. Und es ist gut vorstellbar, dass schon in uralten Zeiten Menschen hier ihre Naturreligion ausübten.

S. 160)
"Einer der schönsten und stärksten Plätze, die ich kenne," nennt die Matriarchatsforscherin Ute Schiran – Menschenfrauen fliegen wieder, München 1988 – die sich in der Tradition der weisen Frauen und Heilerinnen sieht, den Ipf bei Bopfingen. Oben auf dem Plateau, "wo immer der Wind weht," feiert sie zusammen mit anderen Frauen aus der Umgebung die Jahreskreisfeste und ihre rituellen Zusammenkünfte.

S. 170)
Im Klotzgau, dem "Land der glucksenden Quellbäche", liegen die Chamnitzen (bis 1760 Kemnitzen), zwischen Kümmersreuth und Lahm, wo einem der Sage nach die Wilde Jagd begegnen kann.

S. 178)
Trotz der zeitlichen und örtlichen Entfernung repräsentiert der Hügel von Oberaudorf jedenfalls dasselbe Prinzip mythischer Erhöhung, wie es den mittelamerikanischen Opferpyramiden und dem babylonischen Turmbau zugrunde "liegt". Die beiden Flügel des Winkels bilden am Treffpunkt ein kleines Plateau mit Blick gegen die aufgehende Sonne. So mag an diesem heiligen Platz vor vielen Generationen ein Sonnenkult gefeiert worden sein.

S. 227) Der Wurmberg bei Braunlage mit zwei Hexentreppen

S. 243) Der Sachsenhain von Verden
Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte durch kirchliche Bauwerke – die inzwischen z.T. durch Blitzschlag abgebrannt sind – eine Christianisierung der Stätte.

S. 261) Die Externsteine bei Horn
Vom 18. Jh. bis heute wird immer wieder die These vertreten, dass die Externsteine der Standort der von Karl dem Großen zerstörten Irminsul gewesen sei, des zentralen sächsischen Heiligtums, der "Hauptgötzensitz der Deutschen". [...] "Man mag sich wehren und wenden, wie man will, man findet sich wie in einem magischen Kreise gefangen." schrieb Goethe.

S. 266) Die Bruchhauser Steine bei Brilon
"Das großartigste Denkmal der Vorzeit in Westfalen" werden die vier mächtigen Felstürme auf der Anhöhe des Istenbergs genannt. Wie die Externsteine sind auch die Bruchhauser Steine Natur- und Kulturdenkmal. Feldstein, Ravenstein, Bornstein – auf seinem Gipfel gibt es eine "kristallklare Quelle" – und Goldstein bilden die aufragenden Eckpfeiler, die mit Steinwällen und davor liegenden Gräben zu einer vorgeschichtlichen Wallanlage zusammengefügt sind.

S. 273)
Eine so auffällige Erscheinung wie der Wallenborn, eine heute noch brodelnde, stinkende Schwefelquelle, war unseren Ahnen sicher schon vor Errichtung des umfangreichen Pilgerzentrums ein heiliger Ort. Überall gluckert und blubbert es in diesen überaus trockenen Sommerwochen aus dem Boden. Und an den Quellen hört man tief aus der Erde ein unterirdisches Brodeln und Gurgeln.
Das heilige = heilende Wasser wurde unter Gebeten und rituellen Kulthandlungen zu Trink- und Badekuren benutzt. Im heutigen dichten Laubwald lag ein typisches gallorömisches Quellheiligtum mit drei Tempeln (südwestlich an die Schwefelquelle anschließend) und einem Theater für kultische Spiele. Für die Pilger gab es östlich des von einer Mauer umgrenzten heiligen Bezirks Herbergen, Bäder und eine Heiltherme mit einem 50 qm großen beheizten Becken. Im Bad wurden Terrakotta-Fragmente von Muttergöttinnen gefunden.
Das Heiligtum, wohl ursprünglich in einem Eichenwald, wurde offenbar im Zusammenhang mit den Germaneneinfällen 275/276 n.Chr. aufgegeben. Aber noch im 17. Jh. schreibt der Jesuit Jakob Masen: (Dramentheorie)

"Manche nehmen übrigens diese Quellen, obgleich sie wegen übermäßigen Schwefelgehaltes und der durch das stete Wallen verursachten Trübung gar nicht angenehm zu trinken sind, als Medizin."

Und Ende des 19. Jh. wird bezeugt, dass der Wallenborn immer noch bei Kinderkrankheiten aller Art aufgesucht wird.

S. 285) Das Mithrasheiligtum von Schwarzerden

"Im Dunkel der von flackernden Öllämpchen und der Glut des Opferfeuers mystisch erhellten Höhle feierten die Gläubigen nach strengen Riten und nach einer von den Regeln orientalischer Magie bestimmten Liturgie mit Schlachtungen, Verkleidungen, Musik und unter vokalreichen Deklamationen ihr Opfermahl."

So beschreibt Reinhard Schindler die Rituale in den orientalischen Kulthöhlen. "Wie durch ein Wunder" ist in der Rückwand der ehemaligen Felsgrotte von Schwarzerden das eingemeißelte Relief des stiertötenden Lichtgottes erhalten geblieben. Altäre, Feuer- und Wasserbecken waren nach vorgeschriebener Kultordnung im Raum vor dem Bild verteilt. Ein Vorraum schloss den zentralen Kultraum der Felsenhöhle nach außen ab.

S. 289) Der Kelte Biber verehrte die gallische Bärengöttin Artio (bei Weilerbach).

S. 290) Das Waldheiligtum Dianas bei Hilst
Da ist nur ein Problem: es liegt 20 m auf französischem Gebiet. Aber von deutscher Seite aus besser – und ohne Schwierigkeiten – zu erreichen.
Das Relief auf der senkrechten Felswand am Hang stellt die Jagdgöttin Diana mit Pfeil und Bogen und ihrem Jagdhund dar, zu ihren beiden Seiten Herkules und Apollo.

S. 295)
Das Mithrasheiligtum am Abhang des Halbergs (= Höhlenberg) wird im Volksmund von jeher "Heidenkapelle" genannt. Bereits in spätrömischer Zeit, vermutlich im 4. Jh., wurde die orientalische Kulthöhle von frühchristlichen Bilderstürmern rigoros zerschlagen. Nur noch Reste des Relief- und Figurenschmucks des Mithrasdienstes konnten sichergestellt werden. Der Mithrasglaube war damals als Weltreligion im römischen Imperium eine starke Konkurrenz zu dem aufstrebenden Christentum. Im späten Mittelalter wurden dann eine christliche Wallfahrtskapelle und eine Eremitenklause eingebaut.
Skulpturreste mit einer Vogelklaue und einem Mondgesicht, Öllämpchen, kleine Tonteller mit Ausgusstülle, Schalen und Schüsseln wurden gefunden, die wohl zu den alle mithräischen Feiern begleitenden kultischen Mahlzeiten gehörten.

S. 303) Das Thorsberger Moor von Süderbrarup

S. 321)
Wahrscheinlich ist Helgoland die heilige Insel Fositesland, das friesische Heiligtum des Gottes Fosite, des Sohnes Balders, der Gott des Erntesegens und des Friedens.

S. 327 f.)
Ich sprach auf meinen Fahrten mit Wissenschaftlern unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Linientreue. Aber die interessantesten Gespräche waren zweifellos mit dem – bei seinen Kollegen nicht unumstrittenen – 80jährigen Professor Günther Behm-Blancke in Weimar, dem "Heiligtümerpapst". Von seinen Mitarbeitern wird der "der alte Schamane" genannt. Er hat heilige Stätten gleich en gros gefunden [...] Auch das älteste Schamanengrab und das früheste christliche Priestergrab hat natürlich er entdeckt. [...]
So wurde der Papst auf Behm-Blancke aufmerksam, die Unesco machte ihn zu ihrem Mitglied, und der Bischof von Erfurt sitzt einmal im Monat bei ihm im Studierzimmer, um über die Rituale des vorgeschichtlichen Menschen und der Katholiken zu diskutieren. [...]
Doch BB ging als erster – und das schon sehr früh – über die nüchternen Quellen hinaus, indem er versuchte, die geistigen Bezüge im Leben und Denken des vorgeschichtlichen Menschen aufzudecken. In seiner jahrzehntelangen Tätigkeit als Ordinarius an der Universität Jena infizierte er ganze Generationen von angehenden Prähistorikern, die inzwischen selbst erfolgreiche Ausgräber sind und ihre Funde recht freizügig im geistigen Bereich interpretieren. Von einer Angst vor der Beschäftigung mit allem Kultischen ist hier nichts zu spüren.
"Gar kein Problem," sagt Dr. Hermann Behrens, 21 Jahre lang Direktor des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle, "denn hinter der intellektuellen Darstellung des Stoffes musste ja kein persönlicher Glaube stehen."
Und die strengsten Marxisten machten es vor. Der russische Ethnograph und Religionsforscher Tokarev schrieb ein richtungsweisendes Buch über die Ursprünge der Religion. Und die russischen Völkerkundler beschäftigten sich zunehmend mit dem Schamanismus, indem sie betonen, wie wichtig es für den Erhalt der Völker sei, Menschen mit prophetischen Gaben – und Naturbeobachter – unter sich zu haben. So flüchtete mancher "aus der sozialistischen Realität in die urgeschichtliche Religion," wie es ein DDR-Historiker der mittleren Generation formulierte.

S. 331)
Manche Wissenschaftler kommen mit ihren Funden zu Behm-Blancke, weil sie sich scheuen, ihr Material kultisch zu interpretieren. Weil sie Angst haben, sich mit Deutungsversuchen fürchterlich zu blamieren. BB hatte nie Angst, er findet den geistigen Hintergrund des vorgeschichtlichen Menschen faszinierend:

"Das Innere, das den Menschen bewegt, wie er sein Schicksal versucht zu verknüpfen, das macht das Menschsein aus und nicht, mit welcher Intelligenz er sein Werkzeug bearbeitet."

Und zum Abschied sagte er:

"Die Menschen, die geistige Hintergründe negieren, müssen Menschen sein, die sich nicht wirklich mit Menschen beschäftigen. Menschen, die die Menschen nicht lieben."

May 15, 2010

Als die Götter ihre Namen wechselten


Kultplatzbuch pt 1, pt 2, pt 3, pt 4, pt 6
S. 109)
Die Tanzfiguren waren den Windungen eines Schneckenhauses vergleichbar. (Die Schnecke gilt als uraltes weibliches Geschlechtssymbol.) Vielleicht trugen auch diese Tänzer Kranichmasken. Denn die Tiermaske beim Tanz war – und ist im Brauchtum – weit verbreitet und gilt als einer der Ursprünge der griechischen Theatermaske. [...]
Mit kleinasiatischen Legionären und Kaufleuten hatten sich orientalische Mysterienkulte auch im Rheinland und an der Saar verbreitet. Vor allem der Kybele- und der Mithraskult mit Astrologie und Zauber/Magie standen in starker Konkurrenz zum aufkommenden Christentum. Kybele, die Natur- und Erdgöttin, Urmutter der Götter und Menschen, Beschützerin des Wachstums, galt in ihrer Heimat auch als die Herrin der Flüsse und heilkräftigen Quellen. Ihr Sohn/Geliebter war der junge Attis, der von einem Ziegenbock (!) gesäugt worden war. Ihr Gefolge lieferte sich der Göttin "in religiösem Wahnsinn" (Plato) aus, huldigte ihr in wilden Orgien mit rauschhaften Tänzen, begleitet von schrillen Rasseln, Klappern, Handpauken, Flöten und Hörnern "als Stimulantien hemmungsloser Raserei". Der Höhepunkt war die Heilige Hochzeit der Gläubigen mit der Göttin.

S. 110)
Einige Inschriften deuten darauf hin, dass die Muttergottheiten ursprünglich in Bäumen angebetet wurden, die in heiligen Hainen standen. Ein Weihestein zeigt einen heiligen Baum mit einer Schlange, ein anderer beschwört den Genius loci. [...] Die Rolle, die Baum und Schlange im Orakelwesen spielen, deuten darauf hin, dass die Matronenheiligtümer auch Orakelstätten waren.
Und was den "bereits in Ziegenform vorhandenen Mutterkult der Kölner Bucht" angeht, so mag der Professor recht haben: Zu Füßen des Baumes, in einer Zeit, in der göttliche Wesen noch nicht in Menschengestalt dargestellt wurden, befindet sich eine "Überziege" mit drei Leibern, aber nur einem Kopf, und betont prallem Euter. [...]
Auch nach der Christianisierung lebte in den "drei Marien" und den "drei Jungfrauen" die volkstümliche Verehrung der mütterlichen Dreiheit weiter. Aber Kultstätten wie im Rheinland, große heilige Bezirke sind ihnen nie wieder errichtet worden.

S. 111)
Männer lebten gefährlich in Deutschlands grauer Vorzeit. Zumindest die mit stark behaarten Oberschenkeln. Deren Haut wurde ihnen nämlich mit Vorliebe abgezogen, um sie zu Gesichtsmasken zu verarbeiten.
Aus dem alten Mexiko kennen wir das ja. Dort trennte man zu Ehren des aztekischen Gottes Xipe Totec, des Erd- und Frühlingsgottes, Gefangenen bei lebendigem Leibe die Haut ab. Die Priester betrieben "das Menschenschinden [...] indem sie sich die blutende Haut des noch zuckenden Opfers selber überzogen."

S. 119 f.)
Das zähe Beharren auf dem alten Brauch der Umzüge veranlasste den Bischof von Lüttich 1246, ein Fest einzuführen, das Papst Urban IV. 1264 zu einem allgemeinen christlichen Fest, dem Fronleichnamsfest, erhob. Prozessionen ziehen segnend durch die Felder und Fluren, um günstiges Wetter und gute Ernten bittend. Zweige, Laub und Blumen schmücken den Weg der Prozession.
Auch die feierliche Schiffsprozession der "Mühlheimer Gottestracht" zu Fronleichnam auf dem Rhein auf einem mit Blumen, Laubgebinden, grünen Zweigen und Fahnen geschmückten Schiff erinnert an die alten heidnischen Umzüge. Unter einem Baldachin trägt der Priester die goldene Monstranz, die das Allerheiligste birgt. Mitglieder der Sebastianus-Schützenbruderschaft – Nachfolger der heidnischen Männerbünde – machen mit ihren Böllerschüssen dabei einen "Heidenlärm".
So übernahm die christliche Kirche in ihrem Fronleichnamsfest den überlieferten Brauch der Schiffsprozessionen und Flurumgänge des alten Vegetationsfestes zu Ehren der Göttin Nehalennia/Nerthus/Isis.

S. 121 f.)
Der heißeste Kampf brennt seit über fünfzig Jahren um die Deutung der Externsteine und das sternkundliche Wissen unserer Vorfahren, seitdem Teudt sein Werk "Germanische Heiligtümer" veröffentlichte.
Begierig griffen die Nationalsozialisten Teudts Verehrung der alten Germanen auf und erhoben 1933 die Externsteine zum deutschen Nationaldenkmal. Der Reichsführer SS Himmler übernahm den Vorsitz der Externstein-Stiftung.
Die Felsgruppe soll an "guten" Tagen bis zu 50.000 Besucher anziehen. Der riesig dimensionierte Parkplatz darf nur stundenweise benutzt werden. Zur Winter- und Sommersonnenwende strömen wieder Pilger von weit her zu ihren Ritualen zusammen.
Durch die braune Vergangenheit belastet, scheint bis heute eine sachliche Diskussion zwischen den glühenden Verfechtern eines christlichen Heiligtums nicht möglich – trotz der hierzu erschienenen 700 Veröffentlichungen.
Auch wenn durch archäologische Ausgrabungen nichts bewiesen ist, die "Heiligkeit" der hochaufragenden Felsen zieht wohl jeden in seinen Bann – und wird es auch bei unserer Vorfahren getan haben. Einzelnstehende schroffe Felsen und Bergkuppen galten von alters her als heilig. Hier fühlte man sich den Himmlischen am nächsten und verehrte sie in seinem Glauben und seinem Kult.

In den Gesetzen der christlichen Bekehrer wurden alle Opferhandlungen an den alten Naturheiligtümer verboten. Die Verehrung heiliger Baume, Haine, Quellen und Steine wurde mit hohen Strafen – z.T. mit der Todesstrafe – geahndet. Karl der Große ließ 782 in Verden an der Aller angeblich an einem einzigen Tag 4.500 "sächsische Edle" enthaupten. (In Wirklichkeit sollen es "nur" 40 gewesen sein.) Im Dritten Reich wurde daraus sogleich eine Erinnerungsstätte gemacht. Für jeden einzelnen Gefallenen wurde im "Sachsenhain" 1935 ein Stein errichtet. 4.500 Findlinge stehen noch heute dort in einer kilometerlangen Allee.
Aber es gibt auch andere Beispiele: Gregor von Tours berichtet von den Goten, dass sie sowohl heidnische Altäre als auch Kirchen verehrten. Der anglische König Redwald hatte ein Heiligtum, in dem sich "ein Altar für Messeopfer und ein Altar für Opfer an die Dämonen" befanden. Und auch Friesenkönig Radbod (679-719) hatte seine eigene Einstellung zum "richtigen" Glauben:

"Auf Zureden des Bischofs Wulfram" willigte er ein, sich taufen zu lassen. "Als er bereits seine Füße in das Taufwasser gesetzt hatte und der Bischof ihm die Freuden des Himmels ausmalte, fragte er, wo seine verstorbenen Vorfahren seien. Als ungetaufte Heiden, so antwortete der Bischof, wären sie nicht im Himmel. Woraufhin Radbod seine Füße aus dem Taufbecken zog und entgegnete, dann wolle er auch nicht in den Himmel, er wolle lieber mit tapferen Helden, wie seine Vorfahren es gewesen seien, nach Walhall kommen als mit Leuten, wie die christlichen Missionare es seien, in den Himmel."

Vom 7. und 8. Jh. an wirkte sich die Missionierung der seit Chlodwig (498) christlichen Franken aus: Glaubensapostel zerstörten Haine und Tempel, errichteten Kreuze und Kirchen auf die Heidnischen Kultstätten oder verdammten die Plätze in den Bereich des Bösen. Namen wie Teufelssteine, Hexenberg oder Heidenfels zeugen noch heute von dem Glauben, "dort geht es um."
Doch es haben sich viele theophore Ortsnamen erhalten, die auf eine alte Heiligkeit der Stätte schließen lassen: Die mit Götternamen zusammengesetzten Bezeichnungen wie Thorsberg, Thiesholz und Tieslund (heiliger Hain des Gottes Tyr) oder Helgoland – bei Adam von Bremen noch Heiliglant – mit seinen alten Fositesheiligtum.
Dazu ein Wort des Grazer Religionsphilosophen Prof. Grabner-Haider: "Es gibt keinen Aberglauben. Es gibt nur Glauben. Wer die Macht hat, erklärt das andere zum Aberglauben."

S. 123)
Am 29. Juni 983 erschien ein mecklenburgisches Heer der verbündeten wendischen Stämme vor Havelberg, ermordete die Besatzung und zerstörte den Bischofssitz. Drei Tage später erreichten die Herrhaufen das Bistum Brandenburg. Bischof Folkmar war bereits geflohen, die Krieger entkamen mit Mühe, die Priester wurden gefangengenommen, der Kirchenschatz geplündert, der drei Jahre zuvor erdrosselte Bischof Dodilo aus seiner Gruft gerissen und geschändet. Der große Slawenaufstand hatte begonnen.
Auch Berlin-Spandau traf der Aufstand der unterworfenen heidnischen Slawen mit voller Wucht. Die erst drei Jahre zuvor über einem heidnischen Heiligtum errichtete christliche Holzkirche wurde zerstört und niedergebrannt, die Reliquien wurden geraubt. Die Spandauer Kirche war eines der frühesten festen Gotteshäuser, denn die von Brandenburg ausgehende Heidenmission bekehrte in ihrer Anfangszeit die Heiden mit Hilfe transportabler Tragaltäre.
Chronist Thietmar, Bischof von Merseburg, hatte geahnt, was im Schreckensjahr 983 auf die christlichen Bekehrer zukommen würde. Hatte doch sein Vater, Graf Siegfried, im Traum Böses vorhergesehen.

"Anstelle Christi und seines Fischers, des hochwürdigen Petrus, wurden fortan verschiedene Kulte teuflischen Aberglaubens gefeiert, und nicht nur Heiden, sondern auch Christen lobten diese traurige Wendung."

Getaufte Slawen kehrten freudig zum alten Glauben zurück. Nach dem "Blutbad von Verden", in dem Karl der Große den Sachsen das Christentum gewaltsam aufzwang, hatten sich auch die im 6./7. Jh. in das Gebiet zwischen Elbe und Oder eingewanderten Slawen zum "rechten Glauben" bekannt. Damit unterwarfen sie sich aber auch einem neuen Steuersystem, das sie vielerorts knechtete und ausplünderte.
Den Erfolg des Aufstand hatte der Zusammenschluss verschiedener slawischer Stämme – der Lutizenbund – ermöglicht. Einheimische Priester hatte die Auflehnung gepredigt.

S. 128)
Die slawische Religion zerbrach – wie es Prof. J. Herrmann von der Akademie der Wissenschaften in der DDR schildert –

"die Götter waren gestürzt und die heiligen Haine verwüstet, verfemt und verrufen. Nicht der christliche Geist hatte sie besiegt, sondern die schärferen Waffen, die bessere Organisation der Kirche und die übermächtigen Kräfte der deutschen, polnischen, dänischen und pommerschen Feudalheere. Die Götter wechselten ihre Namen, an ihre Stelle traten die Heiligen der Kirche. Die ganze Last der Dämonen und Geister, die Enge des Denkens und die Beschränktheit der Weltanschauung wurden den Menschen – den Bauern und Handwerkern – nicht genommen."

S. 129)
Eine Natur, die ihnen allen noch heilig war, von der sie selbst nur ein Teil waren. Teil eines großen Ganzen, einer Einheit von Kosmos, Erde, Mensch und Tier.
Auch der herrliche Dom von Ratzeburg steht auf einem solchen alten Platz, dem

"Tempel der Göttin Siva, die sie vorzüglich verehrten, der Lieblichen, die sich zur Frühlingszeit in einen Kuckuck verwandelte und ihre wahrsagende Stimme durch die endlosen Wälder spielen ließ. Keine Spur ist von ihrem Heiligtum, ihrem Dienst, ihrem Volke geblieben. Aber göttliche Freundlichkeit, mehr als göttliche Strenge und Macht, haben diese Stätte immer umgeben."

So beschreibt Ricarda Huch ihre Empfindungen beim Anblick der alten Opferstätte auf dem höchsten Punkt der Insel im Ratzeburger See.

S. 144) Der Mooropferplatz am Federsee
"Schatzwiese" wird die Parzelle am Federseemoor bei Kappel heute noch genannt. [...]
Das Federseegebiet, seit der Steinzeit besiedelt, erscheint mit seinem versumpften Schilfwald voller seltener Gräser, Pflanzen und Tiere auch heute noch wie eine verwunschene Fabelwelt.

May 14, 2010

Je stärker der Platz, umso höher die Kirche


Kultplatzbuch pt 1, pt 2, pt 3, pt 5, pt 6
S. 72 f.)
Die erste Weltreligion "im Schatten einer großen Mutter- und Totengöttin" war mit ungestümer Kraft über die alteuropäischen Völker hereingebrochen, die noch im steinzeitlichen Bann der Jagd- und Fruchtbarkeitszauber standen. In der Megalithkultur war der Stein Ausdruck des Ewigen, Göttlichen, der Träger überirdischer Kräfte. Im Alten Testament steht Jahwe im ständigen Kampf gegen die archaische Steinanbetung. Moses erhielt den Befehl, die Kultsteine in Kanaan zu zerstören, und es heißt:

"Ihr sollt euch keine Götzen machen noch Bilder aufrichten, noch einen heiligen Stein (masseba), und ihr sollt in eurem Lande keine Malstein (maskit) setzen, vor dem ihr euch demütigt."

Doch die allerhöchsten Befehle nützten wenig. Die Menhirverehrung hat die Zeit des megalithischen Grab- und Tempelbaus weit überlebt. Der über 4.000 Jahre alte unvergleichliche Rundbau von Stonehenge ist noch 2.000 Jahre später von den Kelten als Kultstätte begangen worden. Wer das Heiligtum schließlich gewaltsam zerstörte, wissen wir nicht. Die Römer in ihrem unerbittlichen Kampf gegen die keltischen Druiden oder erst im Mittelalter die Christen, um heidnische Zusammenkünfte an der alten Stätte zu verhindern.

S. 74)
Die mit Kraft aufgeladenen Steine gilt es zu berühren, und zwar möglichst intensiv und unmittelbar, damit der Kontaktzauber wirkt: Mann und Frau reiben ihre Geschlechtsteile am Stein, um Kinder zu bekommen, Frauen Leib und Brüste, um schwanger zu werden, junge Mädchen rutschen den "heißen" Stein hinunter, um die Liebe eines Mannes zu gewinnen. Möglichst siebenmal und mit entblößtem Unterleib. Noch im 19. Jh. glitten schwangere Athenerinnen einen Felsen beim Aeropag hinab, indem sie Diana anriefen.
Die Menhire werden mit Öl gesalbt, Kerzen oder Fackeln aufgestellt. Rituelle Umzüge und Tänze verstärken die fruchtbarmachende Wirkung. Der volkstümliche Glaube an die Kraft und die Potenz der "phallischen" Steine wird besonders deutlich, wenn die jungen Burschen beim Steintanz ihren Penis in der Hand halten.

S. 76)
So musste die christliche Kirche wohl nicht ohne Grund noch im 11. Jh. den Gläubigen ausdrücklich und wiederholt die Anlage umfriedeter heiliger Stätten um einen Stein, Baum oder Quell und das Opfern an Steinen verbieten. Nachdem sämtliche Erlasse nichts halfen, hat einige Apostel die heilige Wut gepackt. Der friesische Missionar Willibrord soll höchstpersönlich den oberen Teil des dreieinhalb Meter hohen Menhirs Fraubillenkreuz in Rheinland-Pfalz in ein Kreuz umgeformt haben. Andere Monolithe wurden christianisiert, indem Heiligennischen eingeschlagen wurden, wie am Gollenstein im Saarland. Die heidnische Prozession wurde so zur christlichen Wallfahrt.

S. 86 f.)
Als Träger der Idee sah Drexel das mächtige keltische Druidentum mit seiner geschlossenen Organisation, dessen Zentralsitz sich im Gebiet um Chartres befand.

S. 88)
Die Versenkung von Opfergaben in den Schächten der "Viereckschanzen" galt – wie in dem Felsspalten- und Schachthöhlenkult – unterirdischen Gottheiten, wohl in Verbindung mit einem Grubenorakel wie in Delphi. Der empfangende, Leben gebende und Leben nehmende Schoß der Mutter Erde: frühes Symbol für die bei den Kelten so verehrten weiblichen Gottheiten, die auf die uralte Vorstellung der Magna Mater, der großen Mutter, zurückgehen.

S. 89 f.)
Da die Kelten, obwohl sie die Schrift durchaus kannten, keine Aufzeichnungen in religiösen Dingen hinterließen, sind wir auf die Überlieferungen antiker Autoren angewiesen.
Caesar berichtet über die gallischen Priester:

"Die Druiden stehen an der Spitze des gesamten Gottesdienstes, sie besorgen die öffentlichen und privaten Opfer, sie sind die Lehrer und Vertreter der Religion. Bei ihnen sucht die Jugend des Landes ihre Ausbildung, und sie stehen bei den Galliern in hohen Ehren ...
Die Druiden nehmen nicht am Krieg teil und zahlen auch keine Steuern ... Sie müssen aber fast alles auswendig lernen, und deshalb bleiben manche von ihnen 20 Jahre in der Lehre. Es ist ihnen nämlich streng verboten, irgend etwas niederzuschreiben, denn die Druiden wollen nicht, dass ihre Lehre unter das Volk kommt ... Außerdem beschäftigen sie sich mit den Gestirnen, der Größe der Welt und der Natur und besonders mit der Macht der unsterblichen Götter."

Plinius der Ältere schreibt:

"Die Druiden halten nichts heiliger als die Mistel und den Baum, auf dem sie wächst, sofern es eine Eiche ist. Aber auch so pflegen sie die Eichenhaine und vollziehen kein Opfer ohne den Laubschmuck dieser Bäume, so dass sie ihren Namen Druiden von den Eichbäumen (griech. drys) erhalten zu haben scheinen." [...]

Unentwegt sind christliche Missionare im Mittelalter mit der Axt unterwegs, um heilige Bäume zu fällen. Von Paulinus wissen wir, dass die Heiden die Zerstörung ihrer Tempel hinnahmen, aber sich wild sträubten, als der hl. Martin ihren kultisch verehrten Baum umschlagen wollte.
Die "eichenkundigen" Druiden, von Aristoteles Erfinder der Philosophie genannt, wurden gerühmt wegen ihrer seherischen Fähigkeiten, ihrer Lehre von der Seelenwanderung und den Vorzeichen, ihrer Kenntnisse von Astronomie, Natur und Medizin.

S. 91)
Die Druiden bewahrten die ehrwürdige Tradition. Als Priester vermittelten sie ihre Kosmogonie, die Lehre von der Entstehung und der Ordnung der Welt und der Natur. Sie beherrschten die Sternkunde und schufen einen Kalender, wie er in Coligny gefunden worden ist: Auf einer bronzenen Tafel sind die Mondmonate mit ihren dunklen und hellen Mondhälften und die Festtage im Jahreslauf genau aufzeichnet. Ihr Einfluss und ihre – auch politische – Macht, ihr "heiliges Wissen", waren offensichtlich bedeutend größer, als moderne Autoren es gelten lassen wollen, die sie zu einfachen Schamanen und Zauberern reduzieren möchten.
Durch ihre weibliche Tracht, die langen weißen Gewänder und die hinten lang herabfallenden Haare gaben sie sich "als Zwitterwesen zu erkennen". Doch auch von Priesterinnen, von weiblichen Druiden, ist die Rede. Noch am römischen Kaiserhof gab es gallische Seherinnen, als die Druiden, wegen ihres Einflusses von den Kaisern mit Hass verfolgt – denn sie waren die Klammer, die die keltischen Stämme zusammenhielt – längst im verborgenen als Wahrsager und Wunderärzte lebten.
Wie sahen die religiösen Zeremonien aus, die der Priester nach Jahrhunderte langer mündlicher Überlieferung, nach 20 Jahren Lehre, Zucht und Versenkung, leitete, wenn er die höchste Stufe, "ollam", erreicht hatte? Er besaß die Macht, einzelne und ganze Stämme von den Opfern auszuschließen, die härteste Strafe in Gallien. Wer so unter den Bann geraten war, galt als Gottloser und Verbrecher, dem jedermann aus dem Weg ging, um nicht durch die Berührung mit ihm selbst zu Schaden zu kommen.

S. 93 f.)
Auch an anderer Stelle sind Menschenopfer bezeugt: Für Teutates wurden die Opfer erstickt. Ihr Kopf wurde so lange in ein Fass gehalten, bis sie ertranken. Diodor berichtet, wie die Priesterinnen aus den Zuckungen von Menschen wahrsagten:

"Vor allem, wenn man sie einer bedeutungsvollen Sache wegen befragt, wenden sie einen ganz ungewöhnlichen, kaum glaubhaften Ritus an: Sie weihen einen Menschen und stoßen ihm ein Schwert in die Herzgrube über dem Zwerchfell. Und wenn der so Getroffene stürzt, dann erkennen sie aus der Art des Hinfallens, aus dem Zucken der Glieder und schließlich aus dem Fließen des Blutes die Zukunft."

Nach den strengen Maßnahmen der römischen Kaiser Tiberius und Claudius gegen die Druiden – die sich angeblich gegen deren grausame Menschenopfer richteten – wurden die Menschen- in Tieropfer umgewandelt.
Bei der Königswahl wurde unter Aufsicht der Druiden ein weißer Stier geopfert. Noch aus dem 12. Jh. wird von den Inselkelten ein archaischer Ritus der Ulsterkönige übermittelt. Vor der Thronbesteigung musste der König in aller Öffentlichkeit eine Stute befruchten. Dann wurde das Tier geschlachtet, die Stücke wurden in Wasser gekocht. Der König aß das Fleisch mit den Versammelten, badete in dem Wasser und trank die Brühe als Bestätigung seiner Herkunft.
Die esoterische Geheimlehre der Kaste der keltischen Priester(innen), die sie in kultischen Ritualen an geheiligten Stätten wie den "Viereckschanzen" ausübten, gab ihnen Macht und Verehrung bei ihren Stämmen, erzeugte Ansehen, Furcht und Hass bei den römischen Eroberern – und zieht heute wieder Scharen von Menschen in ihren Bann. Die "scheinbare Zwiespältigkeit des Druidentums" mit ihrer Achtung vor der Natur und den gleichzeitigen, uns heute so grausam erscheinenden blutigen Opfern hat "die Forschung seit der Renaissance verunsichert". Denn, wie Prof. Kimmig es ausdrückt,

"man begriff nicht, dass in der keltischen Religiosität sowohl das Humane wie auch das Entsetzensvolle seinen naturgegebenen Platz fand. Es geht eben nicht an, die Denk- und Gefühlswelt fremder, zumal antiker Völker mit heutigen Maßstäben zu messen."

S. 96)
Der Quellgott Fons war einer der ältesten einheimischen Götter des römischen Staates. Sein jährlich am 13. Oktober begangenes Fest galt allen Quellen und Brunnen, auch den ländlichen Quellkulten der – weiblichen – Naturgottheiten.

S. 99 f.)
In den Konzilien des 5. und 6. Jh.s wurde jede religiöse Handlung bei Wassern, Bäumen und Felsen unter Strafe gestellt. Im Trierer Land wird noch im 9. Jh. in einer Sendpredigt nach Leuten gefragt, die "Hilfe woanders suchen als beim allmächtigen Gott, etwa bei Quellen." Und aus dem 11. Jh. ist eine Beichtfrage überliefert, ob man an Quellen gebetet, Kerzen entzündet oder Brot geopfert habe.
Gar mancher "Heidenapostel" ließ an altheiligen Quellen sein Leben. So zog man es vielerorts vor, den beharrlichen Kult in christliche Bahnen zu lenken und baute eine Kapelle neben die Quelle oder direkt darüber. Papst Gregor der Große schrieb um 600 an den Abt Mellitus von Canterbury, man solle die heidnischen Tempel nicht zerstören, sondern in Kirchen umwandeln:

"Es sollen nur die Götzenbilder, die darin sind, vernichtet werden, dann sollen die Tempel mit Weihrauch besprengt, Altäre gebaut und Reliquien darin niedergelegt werden." Damit das Volk "zu den Orten, woran es gewohnt ist, umso vertrauter sich versammle und den wahren Gott erkenne und anbete."

Je "stärker" der Platz, umso höher die Kirche: Der Dom zu Paderborn soll auf 80 Quellen ruhen, die Kathedrale von Chartres auf 44, und der Kölner Dom steht auf einer einzigartigen Sammlung von vorchristlichen Kulten: einer Weihestätte an einheimisch keltische Muttergöttinnen, einem Tempel für römische Gottheiten (mit einem Brunnen an der Tempelwand) und einem Mithrasheiligtum. Zum Komplex des 870 geweihten Alten Doms gehörte noch ein großes Atrium, in dessen Mitte ein Brunnen lag. [...]
So entstand eines der herrlichsten und mächtigsten Gotteshäuser der Christenheit durch die Umwandlung eines heidnischen Kults in den Marienkult.

S. 103)
Ähnliche Funde beobachtete Geschwendt auch bei Bestattungen in der Nähe von heiligen/heilenden Quellen. Der Beruf der Verstorbenen ist ihm klar: Heilkundige, Zauberinnen, Priester. Auch die aufgefundenen "Kulttrommeln" sieht er als "Ausrüstung eines Zauberers, Regenmachers, Medizinmannes oder Schamanen." Dabei müssen diese über ein hohes medizinisches Wissen verfügt haben, wie bereits in der Jungsteinzeit vorgenommene schwere Schädeloperationen zeigen: von Grabfunden in der Nähe von heiligen Quellen belegt. "Als sich die Berufe des Priesters und des Arztes trennten, verblieb trotz dessen den Heilquellen der Ruf der Heiligkeit und der medizinischen Eigenschaften."

May 13, 2010

Schneewittchen und die Mutter aller Schamanen


Kultplatzbuch pt 1, pt 2, pt 4, pt 5, pt 6
S. 45 f.)
Die Gleichung ist klar: Koitus gleich Fruchtbarkeit. Die Rote von Mauern als Symbol einer Naturreligion, in der "die mythische Tradition aller Völker weiß, dass der Urmensch, der Archetypus, androgyn war." Beispiele aus der Antike und der Völkerkunde kennt Zotz zur Genüge: von Platos "Gastmahl", den Eleusinischen Mysterien bis zum mythischen Stammvater der Germanen, dem Gott Tuisto (Zwitter), und dem doppelgeschlechtlichen Ahnherrn des nordischen Schöpfungsmythos der Edda, dem Urriesen Ymir.
Analoge Vorstellungen haben sich bei Naturvölkern lange erhalten: Schamanen flechten ihr Haar nach Frauenart in Zöpfe und kleiden sich wie junge Mädchen (vgl. auch die rituelle Kleidung späterer Kulte, etwa der keltischen, jüdischen und christlichen Priester). Die größten Schamanen tragen weibliche Namen, und ursprünglich waren die mächtigsten die mit umgewandeltem Geschlecht. Bei den Dajaks auf Borneo galten die Entscheidungen der "Weibmänner" als Gotteswort, für die Illinois-Indianer waren sie Manitous. [Kitchi-Manitu bezeichnet das höchste spirituelle Wesen, das über sämtlichen übrigen Geistwesen stand. Dies wurde bereits im 17. Jahrhundert von christlichen Missionaren benutzt, um die Vorstellung ihres Gottes zu erklären und weiter zu verbreiten. Mit dieser Erklärung konnten sie bei vielen Stämmen Erfolge verzeichnen. Bereits im 17. Jahrhundert wurde von dem Jesuitenmissionar Jean de Brébeuf das älteste und bis heute verwendete kanadische Weihnachtslied, Jesous Ahatonhia (Jesus, he is born) in huronischer Sprache verfasst und bereits dabei Gott mit dem Ausdruck Gitchi Manitu bezeichnet. Im deutschsprachigen Raum wird insbesondere aufgrund des vielfältigen Gebrauchs in den Romanen Karl Mays unter "Manitu" eine zentrale Gottheit der Indianer Nordamerikas verstanden. Zutreffender wäre der bei May intensiv gebrauchte Bezug auf den christlichen Gott.] Bei arktischen Jägervölkern verheirateten sich die "verweibten Männer" als Frauen, und "in alten Zeiten", so ist überliefert, sollen sie sogar Kinder zur Welt gebracht haben. Wie der Angakok (ein mit übernatürlichen Kräften ausgestatteter Mann) der Eskimosage, den es eines Tages gelüstete, zum Weib zu werden: Nachdem er ein Ren geopfert hatte, heiratete er einen anderen Jäger, nach einiger Zeit bekam der Weibmann ein Kind. Und Legenden der Aleuten, Uiguren, Teleuten, Burjaten berichten, dass der erste Schamane ganz einfach eine Frau gewesen sei, die einen Sohn gebar, von welchem alle Schamanen abstammen ...
Die Statuette von Mauern mit ihrer dicken Schicht roter Erdfarbe passt genau zu diesen Sagen und Mythen. Auch bei den Initiationsriten der Zentralaustralier wurden, wie uns überliefert ist, Jünglinge mit Fett und rotem Ocker bestrichen, um sie in doppelgeschlechtliche Wesen zu verwandeln. Rot steht für das Männliche, das Fett der Farbpaste soll an den gleitenden Charakter der Vulva erinnern.
Unbestreitbar zeigt die zwischen 20.000 und 30.000 Jahre alte Plastik aus Bayern die Verbindung von Kunst und Kult, schöpferischer Darstellung und ältester Religionsauffassung. Alltag und Religion bildeten noch eine Einheit, die Trennung zwischen Heiligem und Profanem geschah erst sehr viel später.

S. 47 f.)
Als – bisher – älteste eindeutige Kunstwerke der Menschheit überhaupt gelten die Funde aus den Lonetalhöhlen und vom Geißenklösterle (Baden-Württemberg). Die Jägerkunst brach "in der altmenschlichen Entwicklung wie ein prachtvoller Frühlingstag an und überstrahlt mit ihrem Glanz hell das ganze übrige Leben," schreibt J. Maringer in seiner "Vorgeschichtlicher Religion". Neben den Frauengestalten steht am Anfang der Kunst/Religion die einmalig schöne Darstellung von Tieren und Tier-Mensch-Figuren: Ausdruck einer einheitlichen Naturauffassung, die noch nicht scharf in Kultur und Natur getrennt war. Unsere Vorfahren wussten vor über 30.000 Jahren noch um die Verbundenheit von Mensch und Tier in einem geschlossenen, unverzichtbaren Gesamtsystem. In unserem Jahrhundert – scheint es – lebt dieses Wissen, Denken, Glauben nur noch in den alten Volksmärchen fort, in denen sich Menschen und Tiere ineinander verwandeln.

S. 55)
"Dem Besitzer wird niemand einen Vorwurf hierüber machen, wir wissen, dass der katholische deutsche Adel von der Wiege bis zum Grabe von einer gewissen Kaste gegängelt wird, und weder die Bücher Moses noch weniger irgendein naturhistorisches Buch in seine Hände kommt."

S. 57)
Auch in den Kulthöhlen des Kyffhäuser waren vorwiegend Jugendliche und Kinder verzehrt worden, und zwar zusammen mit großen Menschen von Tierfleisch. Von Kannibalismus aus Hunger konnte also nicht die Rede sein. Das Menschen- und Tierfleisch wurde in großen Gefäßen aufbewahrt. Auf den Höhlenvorplätzen lagen die von Steinsetzungen umrahmten Feuerstellen, auf denen das Kultmahl zubereitet wurde. Die Brandeinwirkungen an den Knochen, die eindeutige Schnittspuren aufweisen, deuten darauf hin, dass das Fleisch geröstet oder gebraten wurde.

S. 60 ff.)
Die Frage eines vorgeschichtlichen Kannibalismus bewegt die Gemüter deutscher Wissenschaftler schon seit Jahrhunderten.
Von Gottfried Schützens "Beweiß, daß die Deutschen keine Cannibalen gewesen sind" (1773) bis zum Prähistoriker-Kongress von 1871, auf dem es sogar eine Abstimmung über Menschenfresserei gab: Bei drei Enthaltungen stimmten zwei Koryphäen dafür, zwei dagegen.
So verwenden Kunkel und Behm-Blancke auch viele Seiten ihrer Grabungsberichte darauf, Vergleiche zu dem aus der Völkerkunde und der Antike bekannten Kannibalismus zu ziehen: etwa zum Fruchtbarkeitsopfer im Kult der Feuerbohrer auf Neuguinea, bei dem ein junges Paar während der Vereinigung erschlagen und in eine Grube gestürzt wird. Manche Überlieferung lässt "keinen Zweifel daran, dass sie es mit ihrer Sippe als Ehre empfanden, zum Stammesopfer auserwählt zu sein."
Johann Heinrich von Falckenstein vermerkt 1734 über das Jungfrauenopfer im "Königreich Pegu in Indien":

"Die Itinera berichten [...] dass sie als Heyden ihren Abgöttern alle Jahre eine Jungfrau wie ein Schlachtvieh mästen und auf ihr großes Fest erwürgen. Der Götzen-Pfaffe schneidet ihr den Leib mit einem scharpfen Messer, reisset das Herz aus demselben und schmeisset es dem Abgott in das Gesicht, worauf er es zu Pulver verbrennet, die Asche in das Wasser thut und damit den Abgott besprenget. Das übrige Jungfernfleisch fressen nachgehends die Pfaffen mit großem Appetit, wobey die Eltern sich große Freude machen, dass ihre Tochter zu so großen Ehren gelanget."

Selbstverständlich fehlt auch der Hinweis auf altmexikanischen Kannibalismus nicht, der die Gottheit und ihre Verehrer stärken sollte.
Ritualhandlungen geschehen mit dem Ziel, die Willensäußerung einer bestimmten Gottheit zu beeinflussen. Der geopferte Mensch repräsentiert ein höheres Wesen, dessen überirdische Kräfte auf die an den Mahlzeiten Beteiligten übergehen. Das Opfer, das Geschenk, wirkt im magischen Sinn, indem es eine Kraft, eine Macht in Bewegung setzt und dadurch den Beschenkten günstig stimmt. Der einzelne Beteiligte wird im Gemeinschaftsritual des magischen Kraftquells teilhaftig.
Die größere Selbständigkeit, das entwickelte Selbstbewusstsein der ersten bäuerlichen Gemeinschaften der Jungsteinzeit drückte sich auch in ihrer Religion aus. Das Begreifen von Zusammenhängen in der Natur – wie Saat und Ernte – stellte die bedingungslose Abhängigkeit von den Zufällen des Naturgeschehens in Frage. Der Wunsch, die Möglichkeit waren erwacht, selber Einfluss zu nehmen – und sei es über die Götter direkt. Das Ende des bisherigen Gefühls von völligem Ausgeliefertsein, aber auch von Geborgenheit mag als Erinnerung im Mythos des Sündenfalls bewahrt worden sein.

S. 64 f.)
Auch die griechischen Göttinnen Demeter, Persephone-Kore, Gaia, Chthonia und Hekate hatten ihren Sitz in Höhlen und Klüften. [...]
In der klassischen Antike war das Menschenopfer sicher nicht mehr die Regel. Aber noch im Jahre 97 musste der römische Senat Menschenopfer ausdrücklich und wiederholt verbieten. Und noch lange waren Höhlen, Klüfte und Felsspalten dem antiken Menschen heilig, wie die Drachenschlucht im heiligen Bezirk von Delphi, der Erdspalt der Pythia oder die sibyllinischen Grotten, in denen vor allem Todesorakel gesprochen wurden und die als Eingänge in die Unterwelt galten.
Wieweit die geheimnisumwitterten Mysterienkulte auch in unseren Höhlen gefeiert wurden, ob hier die "Heilige Hochzeit" begangen wurde, ob bei den Riten "sexuelle Ausschweifungen" eine Rolle spielten und die Männer, die Kriegergemeinschaften, vor dem Höhlenheiligtum der Göttin Feste feierten, all das können uns die archäologischen Funde unserer vorgeschichtlichen, schriftlosen Zeit nicht verraten. Auch neuere gerichtsmedizinische Gutachten helfen da nicht weiter, die "sinnlose" Handlungen feststellen, die "auf rauschartige, ekstatisch-orgiastische Zustände der Opfernden" deuten. Wobei schon klar ist, dass bestimmte, beim Fäulnisprozess einer Leiche entstehende Giftstoffe wie Muscarin und Muscaridin beim Verspeisen Rauschzustände herbeiführen können.


Schneewittchen und das Männlein im Walde
S. 67)
Nicht nur Schneewittchen erlebte nach dem Genuss eines Apfels den "kleinen Tod". "Apfel" wurden früher Früchte jeglicher Art genannt. In Böhmen und Mähren hießen die Mohnkapseln "Schlafäpfel". Und was die Mutter in dem alten Kinderlied vom Bäumelein schüttelt – "fällt herab ein Träumelein" – während der Vater die Schaf' hütet, wird wohl auch kein Boskop oder Gravensteiner gewesen sein. Auch heute bekommt jedes zwölfte Kind von seinen Eltern Psychopharmaka als Beruhigungsmittel. Schlaf, Kindlein, schlaf ...

Den Menschen der Frühzeit war die Wirkung bewusstseinsverändernder Pflanzen durchaus bekannt, wie der Mediziner Prof. Hanscarl Leuner auf dem Göttinger Opferstätten-Symposium den versammelten Archäologen vortrug. Ausgräber entdeckten in Mexiko "Pilzsteine" aus der Zeit um 1.500 v.Chr. Die aus Stein gehauenen großen Pilze tragen an ihrem Stamm Darstellungen von menschlichen Gesichtern oder Tieren. [...] In manchen Gegenden wurden die Pilze (aztekisch: "Fleisch Gottes") nur von einer Jungfrau gesammelt, bei Neumond und vor Sonnenaufgang.
Die erzeugten Halluzinationen sind ähnlich wie bei dem kleinen Kaktus Peyotl. Seine Wirkung beruht auf Mescalin, das heute synthetisch hergestellt wird. Peyotl galt als die "heilige Medizin" der Eingeborenen, die die europäischen Missionare entsprechend verteufelten.
Nach dem rituellen Sammeln der Pflanze ist sie heute noch Mittelpunkt mancher religiöser Feste. Auf der Kuppe eines Hügels werden rituelle Feuer entzündet, Reinigungs- und Wasserzeremonien, Rösten von Korn, Gesänge und Trommeln begleiten den Peyotlkult. Die Peyotl-Esser bekommen seherische Fähigkeiten. Bei nordamerikanischen Stämmen wurde die Droge nur von Schamanen für ihre Zeremonien, vorwiegend für den Heilzauber verwendet.
Die ersten Weißen, die von dem heiligen Pilz der Azteken aßen, berichteten über "optische Halluzinationen in den brillantesten Farben, über einen ekstatischen Zustand gesteigerter Perzeption, über Verlust der Zeit- und Raumkonstante und über ein Gefühl inneren Friedens, als ob man in eine andere Welt hinübergekommen sei."

In Nord- und Südamerika sind vierzig verschiedene Arten von "magischen Pflanzen" oder "Zauberpflanzen" bekannt, in Europa und Asien etwa ein Dutzend. Ausgrabungen und Überlieferungen deuten immer wieder auf "rauschartige, ekstatisch-orgiastische Zustände" der Opfernden, auf "religiösen Wahnsinn", auf "hemmungslose Raserei", auf "wilde Orgien", wie es in Fundberichten heißt.
Der Fliegenpilz galt schon in mythologischer Zeit als Ekstasemittel. Auch für den Berserkergang der Wikingischen Männerbünde soll der "Flugswamp" (in Skandinavien für Fliegenpilz) verantwortlich sein. Die großen Schamanen Sibiriens benutzen den "Fliegen"pilz zu Halluzinationen, Delirien und Flugerlebnissen. In der griechischen Mythologie sollen Ambrosia und Nektar dazu gedient haben, den Saft des Fliegenpilzes – die "Nahrung der Götter" – hinunterzuspülen. Die Teilnehmer der Eleusinischen Mysterien hatten "nach Einnahme eines Trankes in der Tiefe der Nacht große Visionen", die "neu, erstaunlich und dem rationalen Wissen unzugänglich" waren.
Zusammen mit Bilsenkraut, Tollkirsche, Petersilie, Eisenhut und Stechapfel wurde in den historischen Hexenprozessen auch der Fliegenpilz als Bestandteil der Hexenflugsalbe genannt. In Selbstversuchen haben Ärzte, Chemiker und Volkskundler die halluzinogene Wirkung der "Zaubersalbe" nachgewiesen. Um die Genitalien, an die Innenseiten der Schenkel und in die Achselhöhlen gerieben, vermittelte sie orgiastische Erlebnisse und "das Gefühl zu fliegen".
Die Zutaten, die sich heute per Versandhauskatalog jeder ins Haus schicken lassen kann, erfreuen sich wieder hoher Beliebtheit. So das Rezept zum "Hieronymus-Bosch-Trip" aus einem Haschisch-Kochbuch: "Wirf einige Samenkörner von Bilsenkraut auf glühende Holzkohlen und atme den Rauch nicht zu heftig ein."

Wurzel, Blätter und Samen des Bilsenkrautes bewirken Rausch, Schwindel, Halluzinationen und können in größeren Mengen zu Tobsucht und Wahnsinn führen. In der keltischen, germanischen und slawischen Sprache hat die Staude fast den gleichen Namen. Im alten Babylon und in Ägypten war sie bekannt, Hippokrates nennt sie eine Schlaf und Betäubung hervorrufende Heilpflanze, in einer anderen griechischen Bezeichnung wird sie "Prophetenkraut" genannt. Weissagende und seherische Kräfte werden ihr zugeschrieben. [...]
Als "elementarste Technik der Ekstase" war der Hanfrausch bekannt. Schon Herodot berichtete über den antiken Gebrauch des Haschisch. Heiteren Erregungszuständen folgt erhöhte sexuelle Erregbarkeit, dann ein narkotischer Schlaf mit erotischen Träumen. Die "mystische Trunkenheit" der Hanfekstase muss auch den südrussischen Reiternomaden bekannt gewesen sein, wie entsprechende Grabbeigaben zeigen.

Prof. Herbert Jankuhn bringt die inzwischen wissenschaftlich nachgewiesenen Auswirkungen pflanzlicher Rauschmittel, die unsere Ahnen sehr wohl kannten und bei ihren rituellen Kulthandlungen und Opferzeremonien an heiligen Plätzen benutzt haben mögen, in Verbindung mit dem seit der Jungsteinzeit nachgewiesenen rituellen Kannibalismus unserer Vorfahren. Wobei nicht nur die Opfernden, sondern wohl auch die Opfer selbst voll der Drogen waren, vergleichbar den überlieferten mittelamerikanischen Menschenopferbräuchen. Einen Hinweis darauf sieht er in der 782 von Karl dem Großen nach der gewaltsamen Bekehrung der Sachsen erlassenen "Capitulatio de partibus Saxoniae", in der mit dem Tod bestraft wird, wer "nach heidnischen Vorstellungen Hexenfleisch" isst.
Da klingt es schon freundlicher, wenn Odin, Göttervater und Dichtergott, Gott der Magie, der Runen und der Ekstase, seine Weisheit und seine übernatürlichen Fähigkeiten aus dem Genuss von Met schöpft. Die Art seiner Magie, seine Heilkenntnisse, die Beherrschung der Zauberlieder deuten auf den schamanistischen Ursprung des Gottes. Und er besaß den besten Met, den "Dichtermet", ein mythologischer Rauschtrank aus Honig, Wasser und Gewürzen, dessen Genuss zum Dichter macht.

May 12, 2010

Die Pfoten der Götter und Austreibung der Geister


Kultplatzbuch pt 1, pt 3, pt 4, pt 5, pt 6
S. 26 f.)
Das Magnetfeld der Erde kann seit kurzem durch neuentwickelte Geräte sauber bestimmt werden. Aber wie die Magnetfelder auf Menschen wirken, wissen wir noch nicht. Schon der Frage nachzugehen, ob sie von Menschen überhaupt wahrgenommen werden können – von einzelnen vielleicht stärker als von anderen – löst heftigste Diskussionen und Anfeindungen der "positivistisch denkenden Wissenschaftler" aus, die Betz in die Okkultecke drängen wollen, seine Forschungen als "Hexenanbetung" bezeichnen oder ihm mit "eiskaltem Schweigen" begegnen. Denn "jeder kleinste Schritt abseits der normalen etablierten Wissenschaft wird gleich negativ bewertet."
Bei der Sensibilität von Tieren auf gewisse Felder darf man heute schon etwas mutiger sein. Inzwischen wissen die Gelehrten, Fischschwärme reagieren mit Hilfe elektrischer Felder, Termiten errichten ihre Bauten nach dem Kompass, manche Bakterien tragen in ihren Zellen kleine Kristalle aus Eisenerz, die wie ein Magnet wirken, womit sie sich am Magnetfeld der Erde orientieren können. Tiere wie Schnecken, Muscheln, Würmer oder Tauben, die sich ebenfalls nach dem Magnetfeld richten, sind dabei noch stark von den Mondphasen abhängig. [...]
Als im Sommer 1988 eine gewaltige Gaseruption auf der Sonne das Magnetfeld der Erde vorübergehend störte, verloren Tausende von Brieftauben auf ihrem Heimflug die Orientierung. Ziellos flogen sie im Kreis herum, ließen sich schließlich bei ihren Irrflügen erschöpft irgendwo auf Terrassen und Balkonen nieder.
Doch noch vor 15 Jahren wäre ein Biologe, der behauptete, Tiere seien magnetfeldempfindlich, "in die esoterische Schublade gepackt worden."
Bei den Tieren darf man weiter forschen, bei den Menschen nicht. Bei den Tieren sind es "extreme Fähigkeiten biologischer Systeme, die auf delikate, feine äußere Signale raffiniert reagieren," bei den Menschen "okkulte Phänomene".

Ist es so einfach?
Forscher der Universität erbrachten den "überraschenden Nachweis", dass Erdmagnetismus menschliche Körperfunktionen beeinflusst. Im US-Bundesstaat Texas musste eine Hochspannungsleitung erstmals nach einem Gerichtsurteil verlegt werden.

S. 27 f.)
Auch den Zeitgenossen Isaac Newtons war dessen Entdeckung unheimlich. Bis heute weiß man nicht, was Schwerkraft eigentlich ist, aber – Gott sei Dank – gibt es wenigstens handfeste Formeln, wie sie wirkt. Newton wies nach, dass dieselben Kräfte, die den Apfel vom Baum fallen lassen, auch die Himmelskörper in ihren Bahnen halten. So war auch der Himmel messbar geworden, und die Götter waren vertrieben. Descartes: Die Methode der Naturwissenschaft ist die "Austreibung der Geister aus der Natur".
Der Vater der "Neuen Wissenschaft", Galilei, hatte rund 80 Jahre zuvor die technologische Fortschrittsspirale in Gang gesetzt mit der Forderung: Alles, was messbar ist, messen. Alles, was nicht messbar ist, messbar machen. Mit der Folge, dass alles, was nicht messbar gemacht werden kann, abgeleugnet wird.
Da erscheint es geradezu tollkühn, [...] Ergebnis der von 1976 bis 1980 in Skandinavien, Frankreich, England, Irland und Österreich vorgenommenen Untersuchungen an 100 Kirchen und 30 vorchristlichen Kultplätzen aus der Zeit von 3.000 v.Chr. bis 1.600 n.Chr.: Die Standortwahl des "heiligen Ortes" unterlag keineswegs dem Zufall. Vor allem im Bereich der "heiligen Zentren" von Kirchen und prähistorischen Steinsetzungen konnten "signifikante Reaktionsphänomene" festgestellt werden, Überlagerungen und Kreuzungen von Reizzonen, zu denen die Anlagen in deutlicher Lagebeziehung stünden.

S. 30 f.)
Heidnisches und Christliches mischen sich in den russischen Volksbräuchen. Zu Ostern, dem Auferstehungsfest, pilgern viele Familien zu den Gräbern ihrer Ahnen, breiten ein Tuch über den Grabstein, packen Wodka, Brot und Wurst aus – und picknicken.
Auch eine Erinnerung an heidnische Bräuche der Ahnenverehrung? Religion ist konservativ, kultisches Brauchtum beharrlich und zäh. In Russland nicht anders als bei uns.
Die Überlieferung von durch Christentum, Islam oder Buddhismus überlagerten alten Religionen wird in außereuropäischen Ländern deutlicher, wo sich Traditionen bis in unsere Zeit bewahrt haben: 1988 feierten die weißen Australier die 200jährige Inbesitznahme des fünften Kontinents. Doch andere waren schon 40.000 Jahre vor ihnen da. Die unerschöpflichen Mythen, die seit Zehntausenden von Jahren lebende Kultur der Aborigines, wurden zwar zum faszinierenden Studienobjekt von Wissenschaftlern, aber Achtung und Respekt vor den Ureinwohnern und ihrem traditionellen Glauben wachsen erst langsam.

S. 32 f.)
Eltern kamen zur bevorstehenden Geburt ihres Kindes von weit her hierhin zurück und die Alten, wenn sie ihren Tod nahen fühlten. Denn hier war "ihr" Land, ihnen von den Ahnen anvertraut, hier traten sie zu den verehrte Urzeitwesen in Beziehung, hier lebte deren spirituelle Kraft weiter.
Diese besondere Verbindung der Ureinwohner zu ihrem jeweiligen Stammesterritorium, zu ihren dortigen heiligen Plätzen, von deren Achtung der Fortbestand des Lebens abhängt, an denen seit Jahrtausenden Zeremonien in jahreszeitlichem Wechsel abgehalten wurden, deren Betreten nur eingeweihten Personen gestattet war, regelte den Landbesitz einer Gruppe, begründete den Anspruch auf ein Gebiet – auch ohne schriftliche Quellen. Land was unveräußerbares Gut, man war untrennbar damit – mit seinen Wurzeln – verbunden. Kriege wurden im alten Australien nie um Landbesitz geführt.

S. 33)
Ein Fernsehkorrespondent, der viele Jahr für die ARD aus Westafrika berichtete, behauptet, sowohl er als auch seine Familie hätten sofort gespürt, wenn sie in den zu einem afrikanischen Dorf gehörigen "heiligen Hain" kamen – auch wenn sie vorher davon nichts wussten.


Entstehung eines Heiligtums
S. 34 f.)
Noch heute können wir in Indien oder Korea die Entstehung eines Heiligtums verfolgen. Da gibt es in der Nähe des Dorfes vielleicht einen Baum von ungewöhnlicher Größe oder Gestalt. Einer der Bewohner hat des Nachts von ihm geträumt, oder einer hat beim letzten Platzregen dort Schutz gefunden. Also geht er am nächsten Tag zum Baum zurück und legt eine Blume nieder. Denn der Baum hat Aufmerksamkeit erregt. Und da er wie Steine, Felsen, Quellen, wie die gesamte Natur belebt ist, bringt man ihm ein kleines Opfer dar. Der Mensch möchte sich dadurch die geistigen Wesen, Kräfte, Dämonen oder auch Gottheiten, die er im Baum sieht, wohlgesinnt machen. Nach dem alten Prinzip "do ut des" – ich gebe dir was, damit du mir etwas zurückgibst – erwartet er jetzt Gutes von Baumgott oder den unbestimmt gedachten Kräften: Glück, Schutz, Gesundheit, Kraft und Segen.
Auch die Familie bringt dem Baum kleine Gaben – man weiß ja nie ... spendet Weihrauch oder Wasser, kniet nieder, murmelt ein paar Worte, zündet Räucherkerzen an. Die Nachbarn sehen das. Nun, schaden kann es ja nicht, wenn man sich den Verehrungsritualen anschließt. Sie behängen die Zweige mit Blumengirlanden, bestreichen die Wurzeln des – nunmehr heiligen – Baumes mit der roten oder gelb-roten Kultfarbe.
Ein Dach zum Schutz der Gaben wird errichtet, auch der Wegesrand mit der heiligen Farbe bestrichen, der Kultbezirk vom profanen Außen abgegrenzt. Jemand macht sich die Mühe und formt einen kleinen Altar aus Lehm, steckt bunte Scherben hinein, darauf eine Blumenvase, ein Götterbild.
Die nächste Stufe: das blutige Tieropfer. Vielleicht geht es um die Ernte, den ausbleibenden Regen. Die Gemeinde versammelt sich feierlich am heiligen Baum – warum ausgerechnet an diesem, weiß kaum noch einer – schlachtet rituell ein Ferkel, bringt es symbolisch den Mächten dar und verzehrt es in einem gemeinsamen Fest.
Vorbeikommende sehen die heilige Stätte und wollen der Wohltaten teilhaftig werden. Man verbeugt sich, legt seine Gaben nieder. Nun hat nicht jeder auf seiner Wanderung Blumenketten und Räucherstäbchen bei sich. Da findet sich schnell einer aus dem Dorf, der geschäftstüchtig damit handelt. Er baut einen Verkaufsstand und – hat er Familie – eine Hütte daneben.
Das Geschäft läuft gut, am Baum wird ein Tempel errichtet, der Kultbezirk vergrößert sich. Schließlich – vom Baum ist vielleicht nichts mehr zu sehen – erhebt sich dort ein mächtiger Tempel: Nicht viel anders wird der Felsendom in Jerusalem um den heiligen Stein entstanden sein.

S. 36 ff.)
Es muss kurz vor dem Abitur gewesen sein – vor fast 25 Jahren – als wir einen Schulaufsatz über den Begriff "Heimat" schreiben sollten. Ich erinnere mich gut an unsere Hilflosigkeit. Kafka, Böll, Benn, Brecht, damit konnten wir umgehen. Interpretieren, analysieren, das hatten wir gelernt. Doch allgemein verzweifeltes Kauen auf dem Kugelschreibern zeigte, dass die gewohnte Technik versagt: "Heimat" entzog sich unseren Versuchen einer abstrakten Interpretation – und sei sie noch so geschliffen formuliert.
Zwei Wochen später die Rückgabe der Klassenarbeit. Ich weiß noch genau, wie ich mit dieser Mischung aus Stolz und Scham auf meinem Stuhl hockte, als mein "Werk" vorgelesen wurde, was für mich "Heimat" bedeutete: das Flussufer, wo wir als Kinder schwammen, der kleine Teich im Schilf, der Wald mit dem ängstlich geheimgehaltenen hohlen Baum, in dem ich besonders schöne Steine und Wurzeln versteckte, der Weg zum Friedhof, zur Urgroßmutter, die ich als Kind im Rollstuhl hatte schieben dürfen.
Diese längst vergessene Erinnerung war plötzlich da, als ich auf der Suche nach den heiligen Stätten unserer Ahnen monatelang durch Deutschland fuhr: [...] Immer wieder fand ich Stellen, die uns ruhig und still, unberührt, stolz und majestätisch oder sanft und lieblich umfangen, die noch – für ein paar Stunden – das Gefühl vermitteln, allein zu sein, allein mit der Erde, der Natur, allein mit sich.
Oder das Erntedankfest auf der Insel Reichenau im Bodensee. Obste, Gemüse, Getreide, das schönste und bunteste war vor dem Altar des Marienmünsters niedergelegt. An den Wänden lehnten die reich gefüllten Körbe und umkränzten Stöcke der Erntedankprozession. Vom Altar hing ein großes, weißes Tuch mit hohen Buchstaben: "Wir weih'n der Erde Gaben." Und: "Dank für alles." Dank für die Fruchtbarkeit – heute nicht anders als vor Tausenden von Jahren.
Oder an den Wilhelmsteinen, dem vermuteten alten Naturheiligtum in Hessen, das verwitterte Holzschild: "Die Heimat, die Schöne, zu ehren ..."

Messen, in Formeln fassen, analysieren kann man "Heimat" nicht, genauso wenig wie Religion und kultisches Brauchtum. Da hat die "Natur"wissenschaft ihre Grenze. Eine der vielen Grenzen, an die sie für jeden sichtbar nach einer Zeit fast uneingeschränkter Technikgläubigkeit gestoßen ist.

Der alttestamentliche Auftrag, "macht euch die Erde untertan" (1. Mos. 1:28), kann nicht länger als Freibrief zur rücksichtslosen Ausbeutung gedeutet werden, als ob Boden, Tiere, Pflanzen, ja das ganze All dem Menschen gehörte, auf dass er damit mache, was technisch machbar ist: immer tiefere Stollen in die Erde treiben, sie als bloßes Warenlager, als Rohstofflieferant und Müllkippe benutzen.
Diese Fortschrittsgläubigkeit, die seit der Renaissance die Entwicklung der abendländischen Kultur bestimmt hat, stößt auf Kritik. Die Technisierung unserer Welt droht in eine systematische Zerstörung unserer Lebensgrundlage umzuschlagen.
Nicht nur die ökologische Bewegung fordert daher, dass die Menschen sich wieder auf mehr Einklang mit den Zyklen der Natur besinnen sollen. Wir sind ein Teil dieser Erde, eingebunden in ihren Kreislauf von Wachsen und Vergehen.
Religion ist die Begegnung mit dem Heiligen. Unseren Ahnen war die Erde, die Natur, der Kosmos noch heilig. Die Religion, ihr Kult, fand in der offenen Natur statt, bezog sie mit ein, unter freiem Himmel, an besonders hervorgehobenen Plätzen, an Orten "mythischer Qualität", an denen unsere Vorfahren spürten, "hier hatten die Götter ihre Pfoten im Spiel," wie es der Regensburger Ordinarius für Vor- und Frühgeschichte, Prof. Walter Torbrügge, ausdrückt.

Der vorgeschichtliche Mensch begegnete der Umwelt viel persönlicher, wie ein Kind, das in Wolken und Bäumen Gesichter sieht, Dinge und Natur als belebt empfindet – wie wir es aus unseren Märchen kennen. Jeder Baum, jede Quelle hatte ihre Nymphe. Höhlen, Brunnen und Moorweiler führten in den Leib der Erde, zu den Unterirdischen, und auf den von Wolken umsäumten Berggipfeln trieben die Himmlischen ihr Wesen oder Unwesen.
Das Empfinden für diese "von Natur aus" heiligen Plätze ist uns abhanden gekommen: An Bächen, in denen keine Nymphen mehr wohnen, lassen sich gut Mühlen bauen.
Der mythisch gedachte Anfang der Welt offenbarte sich unseren Ahnen in ihren Naturheiligtümern, die nicht gegründet, sondern gefunden wurden. Auffällige Erscheinungen wie eine brodelnde Quelle, eine Bergkuppe, ein plötzlich aus dem Walddunkel herausragender Fels oder ein alter Baum, in den der Blitz eingeschlagen hatte, ließen die Nähe des Göttlichen erahnen.
Hier waren die "natürlichen" heiligen Stätten, bei denen man eher in Verbindung mit den jenseitigen Mächten trat als an anderen Plätzen, an denen über Jahrhunderte, Jahrtausende die Menschen zusammenkamen und immer wieder am selben Ort Weihegaben niederlegten, ohne dass die Generationen voneinander wissen konnten: Bitte und Dank, Furcht, Angst, das Gefühl des Ausgeliefertseins und die Suche nach Geborgenheit, Heilung, Heil. Wie es der Berliner Religionswissenschaftler Prof. Carsten Colpe ausdrückt:

"Man gewinnt eine Art Heil in ihnen, indem man mit dem Anfang der Welt, als noch alles in Ordnung war, magisch oder auch nicht magisch in Berührung kommt. Deshalb sind sie in einer Welt, in der nicht mehr alles in Ordnung ist, nicht nur Kultstätten, sondern oft auch Asyle."

S. 39)
Bei der Würdigung von Erde und Natur sollte es nicht um die Auseinandersetzung von Christen und Neuen Heiden gehen, nicht um Neumissionierung, nicht um den Disput Naturwissenschaft oder Glaube, um Ökologie oder Spiritualität. Wer will behaupten, die allein richtige und seligmachende Lehre zu besitzen? Nicht für Querelen oder Verächtlichmachung ist die Zeit, sondern für ein Zusammenhalten zur Bewahrung unserer Erde, zu unserer Rettung. Nicht (nur) um einen Kilometer mehr oder weniger "naturbelassenen" Bach, nicht (nur) um eine Tonne weniger Gift im Meer, sondern um eine ehrfurchtsvolle Auffassung von Mensch und Natur, um Demut geht es: um die Philosophie, die dahintersteckt, die Religion, die Rückbindung an unsere Wurzeln, um den Weg zur Überwindung der Teilung, der Aufspaltung zwischen dem Menschen und dem, was ihn umgibt, um die Überwindung der Entfremdung zu sich selbst.

May 11, 2010

Die fremde Lehre aus dem Süden


Gisela Graichen: Das Kultplatzbuch

Suche nach den Wurzeln – ein Abenteuer in Deutschland

Kultplatzbuch pt 2, pt 3, pt 4, pt 5, pt 6

Wie weiland Rumpelstilzchen sprang ein renommierter bayrischer Wissenschaftler durch sein Studierzimmer, tanzte von einem Bein aufs andere und fuhr mich mit hochrotem Kopf an: "Sie denken doch nicht, dass ich ihnen jetzt meine Plätze sage!" Dabei schwenkte er nach geräuschvollem Wühlen in Stößen von Papier und Stapeln von grauen Kartons einen drei Meter langen Papierstreifen durch die Luft. Handschriftlich hat er hier Deutschlands Opferhöhlen aufgelistet. Wo sie genau liegen, verrät er niemandem, auch nicht den Fachkollegen. Oh wie gut, dass niemand weiß ...
Da wurde mit der Polizei gedroht, für den Fall, dass nun jemand mit diesem Buch in der Hand beim Buddeln an alter Stätte erwischt wird. "Ein Handbuch für Grabräuber" sei das, was ich vorhätte. Und wenn dann jemand in einen Felsspalt stürzt, "wollen die noch eine Entschädigung von Vater Staat." Zu sehen sei an den Plätzen doch sowieso nichts mehr, wollte man mir meine Recherchen ausreden, da sei doch "nur" Natur.
Ein anderer Professor sah die Gefahr, dass "Esoterik-Freaks" dort jetzt "unheimlich was machen". [...]
Und dem Trierer Professor für Vor- und Frühgeschichte, Dr. Wolfgang Binsfeld ("Wer ihn nicht kennt, auf den wirkt Wolfgang Binsfeld wie so eine Art 'Inspector Columbo': Trenchcoat, Zigarette, spezieller Humor. Und tatsächlich verfügt er über einen fast kriminalistischen Spürsinn."), sind "Heiligtümer unter der Erde" am liebsten, denn "dort sind sie am besten aufgehoben."
Schnell werden die wichtigsten Funde gehoben, ins Museumsarchiv gebracht, der Fundplatz mit 30 cm Muttererde wieder zugedeckt und eine Fichtenschonung angepflanzt. Die Reste des alten heiligen Bezirks liegen also wohlbewahrt unter der Erde – nur dem sich damit beschäftigenden Wissenschaftler bekannt.

Vorchristlicher Kult sei nicht zu beweisen, wird argumentiert, alles reine Spekulation. "Schon bei dem Wort Kultstätte stehen mir die Haare zu Berge," meinte ein junger Prähistoriker in Schleswig-Holstein und forderte mich auf, durch das Telefon seine gerunzelte Stirn zu betrachten.
Was nicht zu beweisen ist, gibt es eben nicht. So leugnete auch ein hessischer Archäologe erst einmal, dass überhaupt eindeutig erkannte alte Kultplätze existieren. Bis auf einen, "seinen" Seeopferplatz. Aber nennen will er ihn nicht, er arbeite gerade daran. Außerdem: "Sie locken damit nur die Skinheads an, die dann dort ihr Nationalheiligtum errichten." [...]
Kultplatz – ein Reizwort für etablierte Wissenschaftler? Einer gab zu:

"Heiligtümer und Kultplätze sind bei den Archäologen eine Ideologiefrage wie bei den Ärzten die Euthanasie."

Ein anderer schrieb mir:

"Ohne meine eigene Faszination leugnen zu wollen, rate ich zu möglichst viel Distanz."

Und der emeritierte Tübinger Ordinarius für Vor- und Frühgeschichte, Prof. Dr. Wolfgang Kimmig, opferte einen langen Nachmittag, um mir eindringlich klarzumachen, wie gefährlich mein Vorhaben sei:

"Das ist ein heißes Eisen. Ich habe immer die Finger davon gelassen, obwohl mich Religion und Kult brennend interessieren. Ich kann Sie nur warnen!"

Warnungen bekam ich zur Genüge. "Geradezu todesmutig" sei ich, bescheinigte mir ein Ausgräber in Rheinland-Pfalz, ein solch heikles Thema anzupacken, an das sich keiner heranwage. Am deutlichsten drückte es Dr. Heinz-Josef Engels, Leiter der Bodendenkmalpflege in Speyer, aus:

"Sie kommen mir vor wie jemand, der in einem Zimmer tanzt, einem ganz normal großen Raum, in dem 3.000 Fettnäpfchen stehen. Die Chance ist gleich Null, nicht in etliche hineinzutreten!"

Solcherart ermutigt, machte ich mich auf den Weg.

Fast zwei Jahre wühlte ich in alten Ausgrabungsarchiven – von Berlin bis Bayern. Denn ein Sacharchiv "Heiligtümer" oder "Opferplätze" gibt es in den Abteilungen Bodendenkmalpflege der einzelnen Länder nicht, erst recht nicht für die ganze Bundesrepublik. [...]
Aber warum sind diese Orte, an denen unsere Altvorderen ihren Kult, ihre Religion ausübten, für die heutigen Wissenschaftler ein solches Reizthema?
Da ist einmal das romantische 19. Jh. Alles, was nicht zu erklären war, galt eben als "kultisch". Dann kam das Dritte Reich mit seiner Stiftung Deutsches Ahnenerbe, Schirmherr Reichsführer SS Himmler (der auch das umfassendste Archiv der historischen Hexenverfolgung anlegen ließ.) Jeder römische Steinbruch wurde damals zu einem germanischen Heiligtum, jede Wandkritzelei eine Rune, Kultstätten sprossen nur so aus dem Boden, und heilige Ortungslinien umspannten deutsche Gaue, von – angeblich – germanischem Kultplatz zu Kultplatz. Teudts "Germanische Heiligtümer" wurde das Standardwerk. Zeitweilig erwogen die Herren, etliche Kirchen abzureißen, da diese auf alten Kultstätten erbaut seien, die es auszugraben gelte. [...]

Erst langsam legte sich die "überspitzte Angst vor allem Kultischen". [...]
Doch da nahte in den letzten Jahren der nächste Schrecken. Das blanke Entsetzen ist manchen Herren ins Gesicht geschrieben, wenn sie darüber berichten: die Esoterik-Szene, die Spirituellen, die New-Age-Anhänger auf der Suche nach der "mythologisch verschwommenen" alten Religion, nach den "uralten Orten der Kraft". [...]
"Connexions New Age", das Branchenbuch der spirituellen Szene, fördert das deutschsprachige Netzwerk des Neuen Zeitalters. 2.000 Adressen sind hier aufgelistet: von "Rapunzel-Nussmusherstellung", "Institut für schamanistische Studien", "Freunde der Erde AG", "Deutscher Druiden-Orden" in Berlin und der österreichischen "Schule der Druiden e.V. zur Förderung und Bewahrung druidischen Wissens", vom Zentrum für Vollmondnächte bis zu "Mutter Erde e.V.", der sich wörtlich vorgenommen hat: "Über den Weg des Herzens versuchen wir eine Brücke zu schlagen zwischen Wissenschaft und Religion, Kultur und Natur, Ost und West." Vom Ratzeburger Domkloster und "au-pair im Benediktiner-Kloster" der Neresheim-Abtei bis zu Gruppierungen, die eindeutig dem neuen Satanskult zuzuordnen sind.

S. 18)
Beim Spekulieren mit Blutriten ist schnell die Grenze zur "neuen Jugenddroge" erreicht, dem Satanskult mit schwarzen Messen, Teufelsanbetung und Sexualmagie – bis hin zum geplanten Opfertod von Menschen. 200.000 Jugendliche sollen in Deutschland bereits an schwarzen Messen teilnehmen, wie die Jugendschutzkonferenz in Herne im Sommer 1988 feststellte. Die Kriminalpolizei ermittelt in diesem Zusammenhang bei einigen "Ritualmorden".
Scotland Yard hält es für möglich, dass etliche Vermisste in England auf das Konto des dortigen Teufelskults gehen – geschätzte Zahl der Mitglieder: 100.000 – nachdem die rituelle Tötung eines 13jährigen Mädchens bekannt wurde. Die Schülerin, die nur mit einer Vogelmaske und einem Umhang bekleidet war, wurde "um Mitternacht auf einem Friedhof mit einem Opferdolch" erstochen.

S. 19 f.)
Der Münchner Theaterregisseur Bonger Voges nimmt "trotz und wegen deren Vereinnahmung durch das Dritte Reich" (Deutschlands Zeitschrift für Zeitgeist "Wiener") "auf der Suche nach Neuer Deutscher Identität" keine Rücksicht "auf das herrschende Denkverbot" und inszeniert germanische Mythen:

"Ich möchte die Auseinandersetzung mit unseren Wurzeln provozieren und mit unserer Mythologie so wertfrei umgehen, wie dies andere Völker dürfen und machen."

In den USA bekommen die Anhänger der heidnischen Wicca-Religionen in einigen Teilen des Landes – etwa Kalifornien – offiziell von ihrem Arbeitgeber als religiösen Feiertag frei. Und in einem europäischen Land ist eine Religion vorchristlicher Gottheiten bereits wieder zu amtlichen Ehren gekommen: Im Mai 1973 wurde in Island der Asatru, der Glaube an die Asen, die alten nordischen Götter, offiziell als gleichberechtigte Religion neben der protestantischen Staatskirche anerkannt. Der 64jährige Sveinbjörn Beinteinsson ist Hohepriester des Odinismus, wie der Glaube in Deutschland genannt wird. Wie der Pfarrer in der Kirche nebenan kann er ohne Standesamt rechtgültige Trauungen und Scheidungen vollziehen. [...] "Das einfache Volk hat immer an die Natur geglaubt." [...]
Als besondere Aufgabe ihrer Religion wollen sie die Verbindung des Menschen zur Natur wieder herstellen, damit der Mensch sich wieder bewusst als Teil der Naturkräfte und ihres Kreislaufs empfindet.
Auch in der Bundesrepublik wird heute offen gegen "die fremde Lehre aus dem Süden mit ihrer Unterwürfigkeit und ihren Sündengerede" gewettert. [...]
Und noch eine Neuerscheinung tauchte 1988 auf dem deutschen Markt auf: "Der Hain, Zeitschrift für Heidentum und Naturreligion." In der ersten Ausgabe wird der Name erklärt: "Ein 'Hain' war in alten Zeiten ein heiliger Wald, ein Platz, wo man die Naturkräfte besonders spüren konnte, wo man mit den Göttern in Verbindung trat, ein Ort der Kraft und der Heilung."

S. 21)
Eine FORSA-Umfrage vom Herbst 1986 zeigte, dass sich jeder vierte in Deutschland für Naturreligionen interessiert und mehr darüber erfahren möchte. Und 35 % der Befragten glaubt, dass sich in Zukunft "noch mehr Menschen dieser nach christlicher Auffassung heidnischen Religion zuwenden" werden, weil sie meinen, unser Verhältnis zur Natur müsse sich ändern. (Vor allem Jüngere, Frauen und Befragte mit Hochschulausbildung, von denen jeder zweite daran glaubt.) [...]
Warum wird das Aufsuchen der heimischen Naturheiligtümer als "(über-)lebensnotwendig" angesehen? Warum ziehen sich Menschen zur Besinnung dorthin zurück wie einst ihre Großeltern in die Kirche? Und warum werden die "Kraftplätze" gleichzeitig als "gefährliche Droge" beschrieben?

S. 22 ff.)
Vor allem zur Vogelherdhöhle wollte ich. Die ältesten bekannten Kunstwerke der Welt sind hier entdeckt worden, vor 30.000 Jahren von einem Künstler/Schamanen angefertigt: Kunst als sichtbarer Ausdruck von Religion. Und eine Freundin aus der "Szene" wollte mich zu den Orten führen, an denen sie mit Frauen der Umgebung die Jahreskreisfeste feiert, wo sie ihre Rituale mit Trommeln, Flöten und Tanz begehen.
Aber schon bei "meinem" ersten Platz, der "Hexenküche" im Kaufertsberg, ließ sich die gereizte Stimmung nicht mehr übersehen. Kultischer Kannibalismus der Jungsteinzeit wird aufgrund der Funde – Scherben, Asche, angesengte Menschenknochen, die durch einen Schacht von oben ins Innere der Höhle geworfen worden waren – in dieser alten Opferhöhle vermutet. Meine Begleiterin reagierte unwirsch, böse. Ich merkte, wie sich da irgendetwas in ihr sträubte. Sie wehrt sich gegen den Begriff Kannibalismus, der bei uns heute Ekel, Erschrecken, Abwehr hervorruft, Gefühle und Vorstellungen, die wir auf den Platz übertragen:

"Da werden von unserer heutigen christlichen Sozialisation aus negative, grausame, angstbesetzte Bilder abgerufen, die dem ursprünglichen Hintergrund nicht gerecht werden. Noch heute gibt es südamerikanische Indianer, die zur Ahnenverehrung die Knochen von Toten mit Bananenmus kochen und essen. Und diese Art der Totenverehrung wird von den Ethnologen als Kannibalismus bezeichnet."


Eine ähnliche Umkehr hat der Begriff des Opfers erlebt. Heute negativ im Sinn von Verzicht verwendet, "war es ursprünglich die freudige, natürliche Hingabe eines Teils der Fülle, die dem Menschen geschenkt wurde. Wer wie unsere Ahnen zyklisch lebt, weiß, dass man nicht nehmen kann, ohne zu geben. Auch beim Aufsuchen heiliger Orte gehört der Austausch zum immer sich wiederholenden Energiekreislauf."

Heilige Plätze verstärken Fähigkeiten, entwickeln die eigenen Sensibilitäten, aber jeder Platz wirkt anders, äußert seine Kraft unterschiedlich.

"Du spürst die Verdichtung von Erdenergie an diesen Plätzen, aber auch die Energie von Menschen, die da ihre Fest gefeiert, Lieder gesungen und ihre kultischen Feuer entzündet haben. So etwas bewahrt sich, genau wie in einem Haus, in dem vor 500 Jahren jemand umgebracht worden ist."

Können Plätze heilen, mich heil machen, wollte ich wissen. "Nein, Plätze können nicht heilen, aber sie können dich anregen, dass du dich heil machst, dir helfen, deine Heilkräfte zu verstärken."
Die Vogelherdhöhle im Lonetal ist für sie ein solcher "starker" Platz. [...] Aber immer wieder geschahen die Niederlegungen in denselben Höhlen, an denselben Stellen. Und genau diese beiden Höhlen – und nicht die fünf anderen – werden von Frauen der Umgebung heute als ihre heiligen Stätten angesehen.

Wie manche Wissenschaftler – wenn auch aus einem anderen Grund – sorgen auch sie sich, dass die bisher geheimen, behüteten Plätze von Menschen begangen werden:

"Es kann gefährlich werden für Leute, die einfach nur neugierig sind, aber keinen Austausch mit der Erde vollziehen. Gefährlich wird es dann, wenn du in diesem Zwischenstadium von Halbwissen über deine Kräfte gehst. Weil du dann von dieser Energie schon etwas wahrnimmst, aber sie nicht orten, nicht damit umgehen kannst. Also wenn jetzt jemand mit deinem Buch in der Hand von einem Platz zum anderen läuft – und es ist schon mehr als touristische Neugier – dann kann ich nur sagen: Vorsicht, das treibt. Da kommst du in einen Rausch."

Schon dreimal hat sie erlebt, dass Frauen während eines Workshops beim Aufsuchen der alten Plätze einen schizophrenen Schub bekamen.

"Plätze können sehr wohl aufputschende Drogen sein. Sie rufen hervor, was latent in mir war, was mir nicht bewusst war. Genau wie Drogen kann ich nicht einen Platz nach dem anderen inhalieren."

Jeder reagiert auf jeden Platz anders. Aber Spannung, Prickeln, Ehrfurcht stellt sie bei allen fest, auch wenn ihnen vorher bewusst nichts über den Platz gesagt worden ist und das Ganze als "Ausflug" deklariert wurde.

"Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass alle Menschen ohne Ausnahme diese Plätze, ihren ganz alten Zauber spüren. Die Frage ist nur, ob sie es sich eingestehen, weil die meisten Menschen das, was sie nicht logisch erklären können, erst einmal beiseite schieben."